Das egoistische Gen
auf der Hand, warum dies paradox genannt wird.
Es scheint völlig dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen. Der Grund, warum diese Strategie stabil sein kann, ist folgender: In einer Population, die nur aus Anwendern der paradoxen Strategie besteht, wird niemand verletzt, denn bei allen Auseinandersetzungen läuft einer der Beteiligten, und zwar der größere, davon. Ein Mutant von durchschnittlicher Größe, der die „vernünftige“ Strategie anwendet, sich kleinere Gegner auszusuchen, muß bei jeder zweiten Begegnung mit einem Artgenossen einen heftigen Kampf ausfechten. Das liegt daran, daß er angreift, wenn er jemanden trifft, der kleiner ist als er, während das kleinere Individuum sich heftig wehrt, weil es „paradox“ spielt; zwar ist es wahrscheinlicher, daß das Individuum mit der vernünftigen Strategie gewinnt als das mit der paradoxen, doch läuft es immer noch beträchtliche Gefahr, zu verlieren und verletzt zu werden. Da sich die Mehrheit der Population paradox verhält, ist das Verletzungsrisiko für den Anwender der vernünftigen Strategie größer als für jedes einzelne paradox agierende Individuum.
Obwohl eine paradoxe Strategie stabil sein kann, ist sie wahrscheinlich nur von theoretischem Interesse. Kämpfer, die sich paradox verhalten, erzielen nur dann eine höhere durchschnittliche Prämie, wenn sie den Individuen mit vernünftiger Strategie zahlenmäßig hoch überlegen sind. Man kann sich schwer vorstellen, wie dieser Zustand überhaupt jemals eintreten könnte. Und selbst wenn er einträte, brauchte sich das Verhältnis von vernünftig zu paradox handelnden Individuen in der Population nur ein wenig zugunsten der vernünftigen Strategie zu verschieben, um in den „Anziehungsbereich“ der anderen ESS, der vernünftigen, zu geraten. Der Anziehungsbereich ist die Gesamtheit aller Relationen in der Population, bei denen – in diesem Fall – die vernünftige Strategie vorteilhaft wäre: Wenn die Population erst einmal diese Zone erreicht, wird sie unweigerlich zu dem Stabilitätspunkt hingezogen, bei dem die Individuen mit vernünftiger Strategie in der Mehrzahl sind. Es wäre aufregend, ein Beispiel einer paradoxen ESS in der Natur zu finden, doch ich bezweifle, daß wir wirklich hoffen können, jemals eins zu finden. (Ich habe dies zu früh gesagt.
Nachdem ich diesen letzten Satz geschrieben hatte, machte mich Professor Maynard Smith auf die folgende Beschreibung aufmerksam, die J.W. Burgess vom Verhalten der in Mexiko vorkommenden sozialen Spinne Oecobius civitas gegeben hat:
„Wenn eine Spinne gestört und aus ihrem Schlupfwinkel vertrieben wird, so schießt sie über den Felsen und sucht, wenn sie keinen leeren Felsspalt findet, in den sie sich verkriechen kann, vielleicht im Schlupfwinkel einer anderen Spinne derselben Art Zuflucht. Befindet sich die andere Spinne in ihrem Versteck, wenn der Eindringling hereinkommt, so greift sie nicht etwa an, sondern saust hinaus und sucht sich ihrerseits einen neuen Schlupfwinkel. Nachdem einmal die erste Spinne aufgescheucht worden ist, kann sich so das Verdrängen von Netz zu Netz mehrere Sekunden lang fortsetzen, wobei häufig die Mehrzahl der Spinnen in der Gruppe dazu gebracht wird, von ihrem bisherigen Zufluchtsort in einen fremden überzuwechseln.“ [ Social Spiders. In: Scientific American, März 1976]. Dies ist paradox im hier gebrauchten Sinne. 5 )
Was geschieht, wenn die Individuen eine gewisse Erinnerung an den Ausgang früherer Kämpfe zurückbehalten? Das hängt davon ab, ob die Erinnerung spezifisch oder allgemein ist. Grillen haben eine generelle Erinnerung an das, was in vorangegangenen Kämpfen geschehen ist. Eine Grille, die in letzter Zeit eine Vielzahl von Kämpfen gewonnen hat, wird falkenähnlicher, eine Grille, die vor kurzem eine Reihe von Niederlagen einstecken mußte, taubenähnlicher. Dies ist von R.D. Alexander eindeutig demonstriert worden. Er bediente sich einer Grillenattrappe, mit der er echte Grillen besiegte.
Nach dieser Behandlung stieg bei den Grillen die Wahrscheinlichkeit, daß sie Kämpfe gegen andere echte Grillen verloren.
Man kann sich dies so vorstellen, daß jede Grille die eigene Einschätzung ihrer kämpferischen Fähigkeiten im Verhältnis zu denen eines durchschnittlichen Individuums in ihrer Population ständig auf den neuesten Stand bringt. Wenn Tiere, die wie Grillen mit einem allgemeinen Erinnerungsvermögen an vergangene Kämpfe ausgestattet sind, eine
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