Das Ei und ich
dunkelgrüne Blattwerk ähnelte dem Lorbeer und war an sich schon eine Pracht. Inmitten der Wälder und Dickichte streckten sich die schlanken Rhododendronstämme oft mehrere Meter hoch auf ihrer Suche nach Licht und Sonne, und es war keine Seltenheit, auf einem Spaziergang durch den Wald zwischen den grünen Ästen einer Tanne eine dunkelrote Blütendolde leuchten oder sie mit rosiger Wange an die kühlen, öligen Blätter einer Zeder gelehnt zu sehen. Die Rhododendren waren so prachtvoll, so berauschend in Farbe und Umfang, daß es mir schwerfiel, sie als wilde Blumen zu betrachten. Und wenn ich über Baumwurzeln und Stümpfe kletterte, um ein paar besonders schöne Blüten zu pflücken, blickte ich mich verstohlen nach dem Schild »Privatbesitz! Betreten verboten!« um. Laut Gesetz dürfen sie im Umkreis von fünfzehn Metern von der Landstraße nicht gepflückt werden, und niemand Übertritt dieses Gesetz, weil sie abseits der Straße in den Wäldern viel farbenprächtiger gedeihen. Überall um unsere Farm gab es Rhododendren, aber ausgerechnet in unserem Garten wuchs keiner. Ich erkundigte mich bei dem Mann von der Futter- und Samenhandlung in der Stadt, wie man die Sträucher verpflanzen könnte. Man müsse sie zur Zeit der Blüte verpflanzen, sagte er, und an einen schattigen Platz setzen, wo die Erde gut und feucht war. Daß sie eine Hauptwurzel haben, dick wie mein Arm und ungefähr eine Meile lang, verschwieg er. Ich zog los mit meinem Spaten und dem heißen Wunsch, eine kahle Ecke meines Gartens zu verschönern, wo der Boden so feucht war, daß nur Moos gedieh. An einem wunderschönen Frühlingsnachmittag machte ich mich auf und wählte drei gut gewachsene Exemplare aus, die gerade am Erblühen waren. Guten Mutes markierte ich einen Kreis um den Stamm und lockerte rundherum die Erde. Als ich so weit gekommen war, schob ich den Spaten unter die Wurzeln, zog an und – nichts rührte sich. Ich biß die Zähne zusammen, grub tiefer und stieß nach längerem Bemühen auf die Hauptwurzel, die sich senkrecht ins Erdinnere bohrte, dann eine scharfe Kurve machte und für ungefähr eine Meile der einmal eingeschlagenen Richtung treu blieb. Beeindruckt von der zunehmenden Dunkelheit und meiner Erkenntnis, daß ich einen Tunnel unter der Straße durchhauen müsse, wollte ich mich darauf versteifen, die Wurzel in ihrer ganzen Länge auszubuddeln, machte ich kehrt, ging heim, holte das Beil und hieb kurz und schmerzlos den Wurzelast zirka fünfunddreißig Zentimeter vom Stamm entfernt ab. Bei den beiden anderen Sträuchern schlug ich von Anfang an das gekürzte Verfahren ein und hieb die Wurzeln ab, bevor ich mich mit dem Ausgraben plagte. Vorsorglich hatte ich bereits im Garten Erde ausgehoben. Nun pflanzte ich die drei Sträucher dort ein, und siehe da, sie kamen nicht nur davon, sondern blühten und gediehen prächtig.
Die Tatsache, daß auf dem Fensterregal meiner Vorratskammer stets ein Gefäß mit zweidottrigen oder angeschlagenen Eiern stand, über die ich nach Herzenslust verfügen konnte, war ein nie versiegender Quell des Entzückens für mich, der mich veranlaßte, mich an bisher ängstlich gemiedene eierreiche Rezepte nach Großmutterart aus Mrs. Lincolns Kochbuch zu wagen. In der Stadt, wo ich alle Zutaten mit teurem Geld hätte kaufen müssen, wäre es mir unmöglich gewesen, mit Mrs. Lincolns »Man nehme das Eiweiß von sechzehn großen Eiern und schlage es mit einer Gabel in einem tiefen Teller zu Schaum« und »Zwei Weingläser alten Kognaks und eine Tasse voll abgezogener weißer Mandeln« Schritt zu halten. Mrs. Lincoln gehörte zu den Frauen, die keinen Haferbrei kochen können, ohne einen Schuß Kirsch und eine Prise Betelnuß hineinzurühren. Ich hätte mich schrecklich gern einmal mit der alten Dame unterhalten, aber an Hand ihrer Kochbücher zu wirtschaften, bedeutete den sicheren Ruin für jeden Haushalt, es sei denn, man lebte auf einer Hühnerfarm wie ich. Nur da durfte man sich erlauben, Mrs. Lincolns Rezepte in die Tat umzusetzen. Vor allem, was ihren Eierverbrauch betraf. Ich hatte schon Marmorkuchen, Früchtekuchen und Blätterteigbrezeln gemacht und überlegte angestrengt, was sich für einen regenfeuchten, ungemütlichen Wintertag eigne, als ich auf Windbeutel stieß. »Das ist das Richtige!« triumphierte ich, denn Windbeutel waren eine alte Leidenschaft von mir, und man brauchte zu ihrer Herstellung einen Haufen Eier. Das Rezept schrieb vor: »Man nehme acht Eier, schlage sie eines
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