Das Ei und ich
die Anfahrt von ihnen zu säubern, und die Berge erleichterten uns die Aufgabe nicht; von ihren Hängen überflutete uns ein Strom von Schößlingen.
Die Familie beschwor uns, Weihnachten daheim zu verbringen, aber wir konnten die Hühner nicht allein lassen, und so schickten sie uns Geschenke, und wir revanchierten uns mit sinnigen Gaben. Im übrigen unterschied sich der Weihnachtstag in keiner Weise von den anderen, unfreundlichen Dezembertagen. Nur Herd fühlte sich verpflichtet zu streiken und weigerte sich, den zweiundzwanzigpfündigen Truthahn, den Bob zur Feier des Tages gekauft hatte, in eßbaren Zustand zu versetzen. Statt um fünf Uhr stand unser Nachtmahl daher erst um halb elf Uhr auf dem Tisch, und ich fand heraus, daß Weihnachten nur im Kreis einer großen Familie schön ist.
Nach Weihnachten regnete und regnete es, ohne aufzuhören. Schon um drei Uhr nachmittags hüllte Dämmerung das Land wie in ein Leichentuch ein. In der grauen Dunkelheit war höchstens das Fallen eines morschen Zweiges drüben in der »Schlucht« zu hören, sonst rührte sich nichts. Diese Schlucht war ungefähr fünf Meilen breit und erstreckte sich von unserer Straße aus bis zu einem fünfzig Meilen entfernten Meeresarm.
Vor Jahren hatte eine Feuersbrunst, die erst der Bach, dessen ausgetrocknetes Bett jetzt unsere Straße bildete, aufgehalten hatte, die Schlucht ausgebrannt. Wie in einem von der Pest heimgesuchten Dorf die Straßen, so war auch die Schlucht von den morschen, verwesenden, abgestorbenen Resten ehemaligen Lebens bedeckt, und über die verkohlten, hohlen Baumstümpfe hinweg wucherten Blaubeerranken, Brennesseln und Flammkraut. Seltsamerweise galt das Gebiet als guter Jagdgrund für Vögel, Kaninchen und Rehe. Ich haßte die Schlucht. Im Sommer war sie versengt und dürr und häßlich und im Winter grau und feucht und ebenso häßlich. Nebel hüllte sie Tag und Nacht gespenstisch ein, und der Wind röhrte darin, brach die morschen Zweige und schlängelte sich mit voller Wucht auf unser Haus zu, daß es in den Fugen krachte und die Türen und Fenster jämmerlich quietschten. Der Anblick der trostlos kahlen Hänge war so bedrückend, daß ich mich jedesmal versucht fühlte, alle Lampen anzuzünden und mich in den Stuhl neben Herd zu kuscheln. Im Sommer verbargen die Obstbäume und Ahornbäume und Erlen jenseits der Straße den häßlichen Fleck in der Landschaft. Doch im Winter reckte die Schlucht ihre struppigen Hänge weit sichtbar empor, die Winde heulten, krallten sich im morschen Geäst fest, bliesen übers Haus hin, schnüffelten am Dach des großen Hühnerstalles, ob sich kein loses Brett für ihre Gefräßigkeit fände, stürzten sich auf schutzlose, schwache Baumstämmchen, entwurzelten sie, rollten sie polternd umher und verkrochen sich dann grollend die Berge hinauf. Das einzig Gute dieser Winterstürme war, daß sie durch die Kamine fegten, den Rauch in die Höhe sogen und dadurch Herd gegen seinen Willen zum Knattern und Knistern anspornten.
Wenn der Sturm heulte und der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte, zündete ich frühzeitig die Lampen an und blieb im Hause, möglichst in Herds Nähe.
Bob schien gegen Unwetter immun zu sein. Das Kreischen des Windes, das Trommeln des Regens und das Krachen splitternder Bäume wirkte auf ihn offenbar anregend, denn während er die Laternen für seinen abendlichen Rundgang bereitmachte, pfiff er fröhlich vor sich hin, und dann marschierte er, in seinen Regenmantel eingemummt, frohgemut in das Toben hinaus, schwenkte die Laternen wie Fackeln im Festzug und klapperte unverdrossen mit den Futterkesseln. Die erdrückende, erstickende Nähe der Berge kam ihm nie zu Bewußtsein.
Frühling
Hört ihr nicht das Summen emsiger Geschäftigkeit?
Keats
Ein Pfiff ertönt
Bevor wir auf die Farm übersiedelten, war das Nahen des Frühlings ein sich bescheiden anzeigender, dann immer deutlicher werdender Vorgang gewesen, angenehm und erfreulich zu beobachten wie das Entstehen eines Kunstwerks unter den geschickten Händen eines Bildhauers. In Butte schmolz der Schnee und gurgelte in Form kleiner Sturzbäche in den Straßenrinnen, am Morgen gab es keinen Frost mehr, wir entdeckten die erste Glockenblume, erklärten jubelnd, nun sei es Frühling, und legten bis zum Herbst die »Bauscher« ab. In Seattle war es anders. Da verwischten sich die Jahreszeiten wie die Farben unserer Kirchenfensterbilder, die wir in der Schule fabrizierten, wo wir dünnes Zeichenpapier
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