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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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rückständig, dumm und völlig unbedeutend.
    Anläßlich dieses ersten Besuches bei Mrs. Kettle erfuhr ich, daß sie in Estland geboren war und dort bis zu ihrem vierzehnten Jahr gewohnt hatte. Dann war sie zusammen mit ihren Eltern und den sechzehn Geschwistern nach den Vereinigten Staaten ausgewandert. Während der Überfahrt hatte sie unglücklicherweise Paw kennengelernt und ihn geheiratet. Kurz darauf begann sie, ihre fünfzehn Kinder in die Welt zu setzen, die alle in Abständen von zehn bis höchstens vierzehn Monaten anmarschiert kamen und von Paw persönlich aus dem Mutterleib ans grelle Tageslicht befördert würden. Mrs. Kettle schickte sich gerade an, mir Empfängnis und Geburt eines jeden einzelnen Sprößlings bis ins letzte zu schildern, als ich sie schleunigst unterbrach und fragte, wie es mit Milch und Eiern bestellt sei. Mrs. Kettle zuckte zurück, soweit ihre Fettmassen eine so abrupte Bewegung gestatteten. Milch verkaufen? Das war ihnen im Traum noch nicht eingefallen. Sie rahmten ihre Milch ab und verkauften den Rahm der Käserei. Milch verkaufen? Das kam überhaupt nicht in Frage. »Und Eier?« warf ich schüchtern ein. »Tja«, machte Mrs. Kettle, schon etwas zugänglicher, »Paw is noch nicht dazu gekommen, Nester im Hühnerstall anzubringen, und nun legen die Biester irgendwo im Obstgarten, wo sie gerade Lust haben, und wenn wir die Eier finden, da sind ’n paar noch gut und ’n paar schon schlecht.« Ich beeilte mich, abzuwinken, sagte, das mache gar nichts, wir würden die Eier eben in der Stadt kaufen, und verabschiedete mich. Als ich heimkam, hatte Bob, der Tüchtige, Bob, der Obergescheite, mit den Hicks schon ein Abkommen über die Lieferung von Milch und Eiern getroffen.
    Mein Besuch war anscheinend als eine Eröffnung der gegenseitigen freundnachbarlichen Beziehungen betrachtet worden, denn am nächsten Morgen, als ich gerade mit dem Abwaschen des Frühstücksgeschirrs fertig war und Bob bei der Arbeit am Schweinestall half, machten wir die eindrucksvolle Bekanntschaft Mr. Kettles. Er kam in den Hof kutschiert, auf der obersten Stufe einer kleinen Leiter thronend, die als Kutschbock auf seinem alten Karren diente, der von einem Doppelgespann gezogen wurde, bestehend aus einem lendenlahmen Hengst und einer klapperdürren schwarzen Stute von der Größe eines Shetland-Ponys. Mr. Kettle brachte das ungleiche Paar zu einem unerwarteten Halt, als ich mich innerlich schon damit abgefunden hatte, sie mit fliegenden Fahnen in die Hausmauer rasseln zu sehen, und wünschte uns heiteren Mutes einen guten Morgen. Mit einem kühnen Sprung verließ er seinen wackligen Stufensitz, machte ein Gesicht wie ein römischer Wagenlenker, der soeben preisgekrönt aus dem Rennen hervorging, nestelte am Geschirr, einem Wunderding menschlichen Erfindergeistes, zusammengeknüpft und geknotet aus Seilresten, Riemen, Draht und Bindfaden, klopfte seinen Schlachtrössern die Flanken, reckte sich dann zu voller Höhe auf und zündete mit hingebungsvoller Ruhe einen halb zerkauten Zigarrenstummel an. Bob stand zur Salzsäule erstarrt und konnte seinen faszinierten Blick nicht von dem Gefährt mit seinem seltsamen Gespann reißen. Die Stute wurde fast erdrückt vom Gewicht eines viel zu mächtigen Messingkummets, während der kräftigere Hengst keines hatte. Die Vorderräder des Wagens waren ungefähr ein Meter zwanzig hoch, ungeschlachte Dinger, mit Eisen beschlagen, die Hinterräder dagegen zierlich und mit Gummi bereift; der Wagen selbst hatte in früheren Tagen wohl Heufuder aufgenommen, jetzt war an Stelle der Seitenteile eine kleine Leiter getreten, die ziemlich sinnlos himmelwärts ragte. Bob fesselte das Gefährt, mein Interesse wandte sich mehr Mr. Kettle zu. Sein borstiges graues Haar war offensichtlich daheim mit Hilfe eines übergestülpten Topfes geschnitten worden. Auf dem Haarschopf saß ein steifer, schwarzer Hut. Die Augenbrauen wuchsen über dem Nasenrücken zusammen und hingen buschig über die blauen Augen. Sein umfangreicher grauer Schnurrbart war noch struppiger als das Haar und reichlich mit Krümeln vom Frühstück durchsetzt. Am Halsausschnitt ließen sich mehrere Lagen schmutziger Unterwäsche und verschwitzter Pullover erkennen, die Arbeitshosen steckten in schweren Gummistiefeln. Angestrengt an seinem Zigarrenstummel ziehend, meinte unser früher Besucher lispelnd: »Hübscher kleiner Platz, den Sie da erwischt haben. Bißchen abseits in den Bergen zwar. Ihr Vorgänger hier auf der Farm,

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