Das Ei und ich
der schnappte über und mußte ins Irrenhaus geschafft werden.« Er musterte Bob unter seinen buschigen Augenbrauen hervor. »Na, und mache ich auch schon einen verrückten Eindruck?« fragte Bob lachend. »Bis jetzt noch nicht schlimm«, erwiderte Mr. Kettle, ohne eine Miene zu verziehen.
»Die alte Dame sagte, Sie wären gestern bei uns gewesen. Muß gerade zur Stadt sein, bevor Sie kamen. Schade. Sehr schade.« Er fuhr fort, seinem Zigarrenstummel schwarze Wolken zu entziehen, und wir sahen einander erwartungsvoll an. Mr. Kettle brach das Schweigen. »Verflucht schwer alles dies Jahr«, sagte er, und erst viel später lernten wir durch eigene Erfahrung, daß dies die einleitenden Worte zu einem Pumpversuch waren. »Jawohl, Sir. Sehr schwer, und die Jungen wollen Maw und mir nich helfen (seine Stimme steigerte sich zu weinerlichem Crescendo, wie bei einer Sirene, und flaute dann wieder ab), und wir können’s doch nich allein schaffen. Ich hab zwei Kühe, die bald kalben müssen, und wir dachten uns, ob Sie uns vielleicht ’n bißchen zur Hand gehen würden, weil die Jungen doch im Holzfällerlager arbeiten, und ich kann nich allein pflügen , und die alte Dame meinte, ob Sie nich vielleicht ’n bißchen Mehl und ’n paar Rosinen mitbringen könnten und ’n biß chen Kerosin und ’ nen Sack mit Hühnerfutter. « Ahnungslos sagten wir zu, und Paw Kettle bestieg sein Vehikel und polterte zu unserem Hof hinaus. Was wir von diesem Tage an den Kettles an Mehl, Hühnerfutter, Eiern, Schinken, Kaffee, Butter, Käse, Zucker, Salz, Heu und Kerosin liehen, ergäbe aneinandergelegt die Strecke nach Kansas City; Mehl, Hühnerfutter, Eier, Schinken, Kaffee, Butter, Käse, Zucker, Salz, Heu und Kerosin, das sie sich von den übrigen Farmern liehen, würde von Kansas City nach New York und wieder zurück zur Küste reichen. Dabei war nichts gegen die Borgerei zu machen. Da der nächste Laden siebzehn Meilen entfernt lag, konnte man sich nicht weigern, jemandem eine Tasse Mehl, ein paar Eier, etwas Kaffee, Salz, Zucker, Schinken, Butter, Käse oder Kerosin zu leihen, weil man wußte, was es bedeutete, ohne eine dieser benötigten Waren dazusitzen, und man selbst vielleicht morgen auf einen Nachbarn angewiesen war. Paw Kettle kalkulierte diesen Umstand ein, und wir buchten die Mehrausgabe unter allgemeine Unkosten.
Was das Borgen unserer Hände Arbeit anbetraf, so lehnten wir nach unserer ersten voreiligen Zusage alle weiteren Hilferufe strikte ab, und die Hilferufe Paws waren zahlreich. Er bat um Hilfe beim Pflügen, beim Säen, beim Heuen, beim Melken, beim Reinigen der Ställe, beim Bauen des Hühnerstalles, beim Gärtnern, beim Ausheben der Senkgrube, beim Versetzen des Klosetts. Er ersuchte um Hilfe, wurde abgewiesen und ersuchte unverdrossen weiter, denn das war sein Tagewerk. Er bat, flehte, bettelte, steckte Demütigungen ein und Absagen, ja, selbst Beschimpfungen – alles war besser als arbeiten.
Dabei war die Farm der Kettles sehr schön, oder besser gesagt, hätte sehr schön sein können. Sie umfaßte zweihundert Morgen fetten, schwarzen Bodens, von dem zwanzig Morgen (eingerechnet den einen, den Schweine zerwühlt und Hühner aufgescharrt hatten) bebaut waren. Der Obstgarten blieb sich völlig selbst überlassen; die Bäume wurden nie gestutzt oder gespritzt, trugen aber trotzdem gut. Es gab die saftigen dunkelroten Äpfel, Reineclauden, italienische Pflaumen, rotbraune Bartlett-Birnen, Walnüsse, Haselnüsse, Kastanien, gelbrote Royal Anne- und Bings-Kirschen. Auch das Land, auf dem die Johannisbeer-, Stachelbeer-, Brombeer- und Himbeersträucher wuchsen, blieb völlig den Schweinen und Hühnern überlassen, die den Boden mehr nach Lust und Laune als nach landmännischer Überlegung auflockerten. Die fünfunddreißig Holsteinkühe wurden nie zur rechten Zeit gemolken und selten gefüttert, sie waren von Fliegen und anderem Ungeziefer übersät, gaben aber trotzdem – vermutlich aus Gewohnheit – Milch. Die weißen Chester-Säue wurden ebenso vernachlässigt und brachten doch Ferkel auf die Welt, die Paw, sobald sie entwöhnt waren, für fünf Dollar das Stück verkaufte. Allerdings gingen auf der Kettlefarm auch viele Tiere ein. Solche Todesfälle wurden samt und sonders der rachsüchtigen Vorsehung zugeschrieben. Keinem der Kettles war es in den Sinn gekommen, der Schmutz oder die mangelhafte Ernährung könnte irgend etwas damit zu tun haben.
Natürlich ahnten wir damals von diesen Dingen nichts und
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