Das einsame Haus
in der Ecke fragen können.
Dann aber kam der Bürgermeister herein, setzte sich zu mir, und kurze Zeit später hockten vier Männer an meinem Tisch. Als sie erfuhren, daß ich Reporter war, erzählten sie mir alles mögliche, nur nichts über Anna Hilbinger. Sie waren von ihrem Tod nicht sonderlich beeindruckt. Erst als ich fragte, wer nun den Besitz erben würde, wurden sie lebhaft. Einer erzählte:
»Der Hilbinger Anton, Gott hab’ ihn selig, der brachte sie im Jahre achtzehn mit. Ein blutjunges Madl war sie da, und blitzsauber, aber sie konnte kein Wort deutsch. Er hat sie im Krieg bei den Welschen drüben kennengelernt. Dann ist dem Hilbinger, das muß so um fünfundzwanzig herum gewesen sein, beim Holzfällen ein Baum ins Kreuz gefallen. Er kam nie mehr recht auf die Beine. Ein paar Monate danach haben wir ihn begraben. Kurz darauf hat sie dann ein Kind bekommen, ein Madl. Auf die Namen Antonia Paola hat sie die Kleine taufen lassen, aber so ganz gut ist sie mit dem Kind nie ausgekommen. Ist ein wilder Fratz gewesen, die Antonia. Bei Kriegsende, da muß sie so ungefähr neunzehn gewesen sein, und die Burschen im Dorf waren scharf auf sie, da hat sie sich in einen Offizier vergafft, der bei uns hängengeblieben ist auf dem großen Marsch in den Endsieg. Die Amis sind gekommen, und da waren auch welche scharf auf das Madl, die Antonia, aber die ist eines Tages mit dem Offizier auf und davon. Ja, das war Ende fünfundvierzig. Seitdem hat sie sich hier nie mehr blicken lassen, und die alte Hilbinger ist fuchsteufelswild geworden, wenn sie einer danach gefragt hat.«
Die Männer hockten um mich herum und taten, als hörten sie diese Geschichte zum erstenmal.
Schließlich fragte ich sie nach dem einsamen Haus am Waldrand. »Wer hat es gebaut, und wieso gehört es der Hilbinger?«
»Ein Baron van Straaten hat es gebaut, noch vor dem Kriege. War auch ein Offizier. Irgendwo in einem Ministerium oder...«
»Beim Luftgaukommando war er«, sagte ein anderer, und mein gesprächiger Erzähler fuhr nickend fort: »Ja, da war er, und als der Krieg losging, da hat er die Hilbinger gebeten, sich um das Haus zu kümmern, und eines Tages ist er bei einem Bombenangriff umgekommen, und die Hilbinger hat das Haus geerbt.«
»Und seitdem steht es leer? Sie hat es niemals vermietet?«
»Doch. Vor ein paar Jahren war es vermietet. An ein Ehepaar. Der Mann war Direktor in München. Sie haben sich hier im Dorf nie sehen lassen.«
»Wie hießen diese Leute?«
Die Männer schauten sich an und zuckten die Achseln. Sie wußten es nicht, es hatte nie ein Namensschild an der Tür gestanden. Ich wandte mich an den Bürgermeister.
»Das Haus gehört doch zu Ihrer Gemeinde?«
»Ja.«
»Dann muß der Mieter angemeldet gewesen sein.«
Der Bürgermeister schüttelte den Kopf.
»Ich hab’ vorhin schon nachgeschaut, es ist nichts eingetragen. Vielleicht hatte er seinen ständigen Wohnsitz in München?«
Die weitere Unterhaltung ergab nichts mehr, und gegen zweiundzwanzig Uhr fuhr ich heim.
Das heißt, ich wollte heimfahren. Als ich gerade in meinen Wagen stieg, sah ich ein kleines weißes Auto vom Hof der Hilbinger auf mich zukommen. Dann fuhr es an mir vorbei. Obwohl mich das Scheinwerferlicht blendete, sah ich ganz deutlich eine Frau am Steuer, eine Frau mit kurzem, dunklem Haar. Ich gab Gas, mein Sportwagen schoß los, und schon kurze Zeit später hatte ich den kleinen Fiat vor mir. Ich merkte mir die Münchener Nummer, bremste und kehrte um. Vor der Wohnungstür der Hilbinger fand ich zwei Eimer, die ein Holzimprägnierungsmittel enthielten. Sie stammten von der Farben- und Lackfabrik COLORAG in München. Von der Firma also, aus der auch der gestohlene Wagen stammte!
Als ich gerade wieder wegfahren wollte, trat neben mir ein Schatten aus dem Dunkel. Der Schatten sagte mit einer tiefen, versoffenen Stimme: »He, Sie! Ich weiß was.«
»Ich auch«, sagte ich.
Er kicherte, und ich roch seine Bierfahne. Er sagte: »Über die Hilbinger weiß ich was. Sie sind doch von der Zeitung, oder?«
»Stimmt. Was wissen Sie?«
»Was würden Sie denn zahlen?«
»Je nach dem.«
»Zehn Mark?«
»Wenn es was Wichtiges ist, warum nicht?«
Der Mann kam einen Schritt näher, hielt sich an der Hauswand fest und rülpste. Dann sagte er:
»Her mit dem Geld, sonst sag’ ich kein Wort.«
Ich riskierte den Zehner. Er steckte ihn ein und sagte:
»Sie hat jeden Monat dreihundert Mark bekommen. Postanweisung. Jeden Monat pünktlich dreihundert
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