Das einsame Haus
das habe ich im Badezimmer entdeckt.«
Er zeigte Wendlandt das Handtuch und gab ihm eine Lupe.
Der Inspektor schaute sich das Handtuch gründlich an, dann faltete er es zusammen, gab es dem Beamten zurück, und sagte zu mir:
»Bartstoppeln. Vermutlich hat sich der Mann vor seinem Tode noch rasiert. Elektrisch.«
»Schön«, sagte ich. »Und wo ist der Rasierapparat geblieben?«
»Das weiß vermutlich nur der Mörder.«
»Die Mörderin«, sagte ich.
»Woher wissen Sie das so genau?«
»Wenn sich ein Mann um diese Zeit rasiert, Inspektor, dann hat er was vor, wobei Bartstoppeln stören würden. Außerdem: der Lippenstift in seinem Wagen und der Abdruck eines Frauenschuhs.«
»Möglich«, sagte er. »Aber ich habe einmal bei einem Toten nicht nur einen Lippenstift gefunden, sondern ein paar lange blonde Frauenhaare, auf dem Nachttisch einen Klecks Nagellack, im Bett zwei Haarklammern und unter dem Bett ein gesticktes Damentaschentuch mit einer Spur Wimperntusche. Und im Garten und auf dem Boden fanden wir die Abdrücke von Pfennigabsätzen. Der Mörder war ein intelligenter Bursche gewesen. Kommen Sie, wir fahren jetzt ins Dorf und schauen uns mal bei der Hilbinger um. Wenn sie das Gift versehentlich geschluckt hat, finden wir vielleicht bei ihr einen Hinweis. Wenn sie sich allerdings selber umgebracht hat, wird sie zu Hause alles genauso sorgfältig beseitigt haben wie hier.«
Die Hühner hockten neben dem Eingang und debattierten aufgebracht darüber, warum ihnen niemand die Stalltür aufgemacht hatte. Die Haustür war verschlossen, hinter den kleinen Fenstern hingen bunte Vorhänge. Wendlandt wandte sich an den Beamten der Landpolizei, der mit uns gekommen war.
»Holen Sie mir bitte den Bürgermeister oder einen anderen Herrn von der Gemeinde.«
Als der Polizist verschwunden war, gingen wir um das ganze Haus. In einem Schuppen entdeckten wir einen alten, verlotterten VW. Im Stall, dessen Tür halb offen stand, waren vier Kühe, die uns neugierig anglotzten und gemächlich weiterkauten.
Vom Stall führte eine Tür direkt ins Haus, aber wir warteten auf den Polizisten und den Bürgermeister.
Sie kamen fünf Minuten später.
»Das verstehe ich nicht«, sagte der Bürgermeister, ein Bauer von etwa fünfzig Jahren mit einem verkniffenen Fuchsgesicht. »Das ist mir rätselhaft, wie die alte Hilbinger...«
Wendlandt unterbrach ihn.
»Warum hat sie das Haus nicht vermietet? Das hätte ihr doch etwas Geld eingebracht.«
Der Bürgermeister lachte.
»Die und Geld? Kommen Sie mal mit.«
Wir folgten ihm vor den Stall, wo er eine ausladende Handbewegung über die Felder zum Walde hin machte.
»Die und Geld? Das alles gehörte ihr. Sie war eine der reichsten Bäuerinnen im Dorf, wenn sie auch das meiste verpachtet hat. Aber der Wald allein ist gut und gern seine zweihunderttausend Mark wert. Ab und zu hat sie ein paar Parzellen davon verkauft.«
»Und von dem Geld hat sie gelebt?«
»Gelebt?« Der Bürgermeister hatte wohl von den Politikern gelernt, auf jede Frage mit einer Gegenfrage zu antworten. »Gelebt hat die wie eine Bettlerin. Sie hat in allen Gelenken vor Geiz geknackt.«
»Aber was hat sie dann mit dem Geld gemacht? Sind Verwandte da?«
»Eine Tochter. Aber die hat schon lange vor dem Krieg geheiratet, einen aus der Stadt, und dann hat man nie mehr was von ihr gehört, soviel ich weiß. Das hab’ ich erzählt bekommen — sie selber hat den Mund noch weniger aufgemacht als den Geldbeutel. Ich kam erst vierundfünfzig hierher, aber dauernd wollte sie irgendwas aus der Gemeinde herausschinden. Zuletzt...«
Der Landpolizist mischte sich beflissen ein.
»Sie war halt nicht ganz richtig im Kopf, Herr Inspektor. Nicht verrückt, sondern eben einen kleinen Vogel. Auch nicht bösartig, nur...«
»Hö«, rief der Bürgermeister, »und ob die bösartig war! Neulich, als wir den Ärger mit der Wasserleitung hatten, wollte sie...«
Wendlandt unterbrach ihn wieder.
»Kamen Besucher zu ihr? Irgendwelche Leute? Mit wem hatte sie Umgang?«
»Umgang? Mit wem die Umgang hatte? Mit niemandem. Sie hat über alle im Dorf etwas gewußt. Irgendwann macht ja jeder mal einen kleinen Schmuh oder so, und alles hat sie gewußt. Die Leute sind ihr gern aus dem Weg gegangen. Nur mit dem Briefträger hat sie... ja, richtig, der Ludwig könnte Ihnen mehr über sie erzählen.«
»Können Sie ihn mir herholen?«
»Wenn ich ihn finde.«
Er ging, und Wendlandt betrat mit mir und dem Landpolizisten das Haus. Aus der
Weitere Kostenlose Bücher