Das einzig glueckliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall
Mary auf einem rumänisch-japanischen Wörterbuch, einem Roman von André Gide, einer Zeitschrift mit dem Titel „Plastik“ und einem Reiseführer von Tokio. Sie streckt den Arm aus, nimmt einen Schluck vom Drink und kehrt Kazumi wieder den Rücken zu, die nun aus der Küche, einem Loch mit Mikrowelle, Kühlschrank, Reiskocher, Waschmaschine und Blechregal, zurückkommt. Kazumi setzt sich im Schneidersitz auf die Tatami, auf der sie normalerweise schläft, reißt eine Packung Kekse auf und sagt:
„Was wolltest du mir erzählen?“
„Von Träumen, die ich habe. Ich muss das jemandem erzählen.“
„Ah, ich liebe Träume. Erzähl!“
Die schnelle, kindliche Reaktion von Kazumi ärgert Iulana Romiszowska. Trotzdem ist sie entschlossen, ihre Last mit jemandem zu teilen. Sie will heute ihre geheimsten Träume mit jemandem teilen, der ihr gegenübersteht, und das sind Kazumi und, auch wenn Iulana es nicht weiß, wir alle.
„Die Träume begannen, als ich sechs Jahre alt war. Alle Mädchen meines Alters mussten, warum auch immer, ein Ritual durchlaufen, das mit einer Maschine begann, die uns ganz klein machte. Dann wurden wir in Puppen gesteckt, die den Körper einer Frau hatten, wie eine Barbie, verstehst du?“
Iulanas Stimme nimmt einen tiefen Unterton an, und von da an reden die beiden nur noch ganz leise, mit der nächtlichen Stimme des nahenden Morgens – als wüssten sie, dass wir sie hören können.
„Ja. Eine Puppe, und du in dieser Puppe.“
„Ich war noch dasselbe Kind. Nur in Miniatur und in einem geschlossenen Raum in einer Puppe, an einem zentralen Punkt in ihr drin. Als hätte man mich in ein dunkles Hotelzimmer gesperrt. Und dann kam die Puppe auf eine Art Fließband in einer Fabrik, und die Arbeiter reichten sie weiter von Hand zu Hand.“
„Aha.“
„Und ich als Miniatur in der Puppe drin spürte jede Berührung der Metallklauen von Robotern, die die Berührung der Männer an mich weitergaben, an meine kleine versteckte Miniatur da in einem Raum, dem Hotelzimmer, tief drinnen. Hörst du mir zu? Soll ich es wiederholen?“
„Nein. Ich höre dir zu. Was für ein komplizierter Traum! Erzähl bitte weiter.“ Kazumis Gesicht hat einen anderen Ausdruck angenommen. Würde Iulana Romiszowska sie ansehen, wüsste sie, dass die Tänzerin völlig gebannt ist von der Erzählung.
„Nach und nach zogen die Männer, die alle älter waren als ich, der Puppe die Kleider aus, und ich spürte ihre Berührungen auf meiner nackten Haut. Es war mein Körper, der eines sechsjährigen Mädchens.“
„Haben sie dich vergewaltigt?“
„Nein. Es war normal. Danach ging ich nach Hause und alles war wieder gut, es war eine Art Übergangsritus, und niemand in meiner Familie redete darüber. Danach veränderten sich meine Träume. Es gab keine Puppe mehr.“
„Also nichts mehr dazwischen …“
„Nur noch ich und mein sechsjähriger Körper, der von Hand zu Hand dieser Männer weitergereicht wurde. Irgendwann begannen sie, Dinge in mich hineinzustecken, hinten und vorne. Dabei lag ich auf einem Tisch, und andere Männer schauten zu, betrachteten meinen sechsjährigen Körper und notierten sich etwas, als würden sie mich untersuchen. Und redeten über mich in einer Sprache, die ich nicht verstand. Wie Japanisch, nur viel schneller.“
„Also wie für mich Russisch …“
„Ich spreche Rumänisch, das weißt du doch.“
„Ach ja.“
„Egal.“
„Du hast von den anderen Männern erzählt …“
„Ja.“
„Und was ist passiert?“
„Ich kauerte dann auf allen Vieren, die Knie auf dem Tisch, und bemühte mich, die Öffnungen meines sechsjährigen Körpers weiter aufzubekommen.“
„Und wie hast du das angestellt?“
„Keine Ahnung. Aber in meinem Traum spüre ich es noch körperlich. Und dann wache ich auf und spüre es immer noch. Als hätte ich gerade in Wirklichkeit Sex gehabt. Es ist erschreckend.“
„Und wer waren die Männer?“
„Ich kannte nicht einen von ihnen. Eigentlich hatte ich das Gefühl, dass diese Männer alle wie mein Vater waren. Nicht, dass sie mein Vater gewesen wären, ich habe nichts mit meinem Vater, aber sie hätten mein Vater sein können. Vor allem, weil ich im Traum eine andere war, und mein Vater hätte jeder von ihnen sein können, ohne mein Vater zu sein, verstehst du?
„Warum erzählst du mir das?“
„Weil ich diesen Traum nun über zehn Jahre nicht mehr geträumt habe. Gestern fiel ich ins Bett, nachdem ich mit diesem seltsamen Salaryman, den ich
Weitere Kostenlose Bücher