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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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protestierte er.
    Sie gab auf, und der Junge blickte verdutzt zu ihr auf.
    »Also ist das in Ordnung?« fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder ihrem Besuch zu. Die letzten anderthalb Tage hatten Spuren hinterlassen. Sie hatte die Haare mit einem Gummiband zusammengefaßt, statt sie zu flechten. Mehrere Strähnen hatten sich daraus befreit, und zusammen mit den hängenden Schultern und ihren weiten Kleidern ließ sie das fast schlampig wirken.
    Ihre Augen waren noch immer rot.
    »Haben Sie die Listen nicht bekommen?«
    »Doch«, antwortete Hanne Wilhelmsen. »Vielen Dank. Die sind uns eine große Hilfe.«
    Ein kurzes Nicken in Richtung der Kinder teilte Maren Kalsvik mit, daß der Besuch anderswo mit ihr reden wollte.
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    »Wir können hierhin gehen«, sagte sie und öffnete die Tür zu einem hellen, freundlichen Raum mit vier Sitzsäcken, einem Sofa und zwei Sesseln vor einem 28-Zoll-Fernseher in der linken Ecke. Die beiden Frauen setzten sich in die Sessel, Billy T. ließ sich auf einen Sitzsack fallen. Er lag fast auf dem Boden, aber Maren Kalsvik achtete nicht weiter darauf.
    »Ihr Kollege, der Nachtdienst hatte, ist der jetzt hier?«
    Diese Frage hatte Hanne Wilhelmsen gestellt.
    »Nein, der hat sich krank schreiben lassen.«
    »Der auch? Ist hier eine Seuche ausgebrochen, oder was?«
    brummte Billy T. vom Boden her.
    »Terje hat sich bei der Brandübung den Rücken verletzt.
    Bandscheibenvorfall oder so. Als wir fertig waren schien noch alles in Ordnung zu sein, aber in der Nacht haben sich die Schmerzen eingestellt, sagt er. Was Eirik angeht, der ist fast im Schockzustand. Es war bestimmt schrecklich, sie zu finden. Er war völlig verstört, als er angerufen hat. Zuerst dachte ich, jemand wollte sich einen Scherz erlauben. Ich wollte schon wieder auflegen, doch dann ging mir auf, wie ernst die Sache war. Er war total hysterisch.«
    »Wissen Sie, wo er gesessen hat?«
    »Gesessen?«
    »Ja, hat er sich nicht fast die ganze Zeit in diesem Zimmer aufgehalten?«
    »Ach so, ja.«
    Sich mit der Hand durch die Haare zu fahren war offenbar eine ihrer schlechten Gewohnheiten.
    »Nein, das weiß ich wirklich nicht. Aber die Erwachsenen setzen sich alle lieber in die Sessel.«
    Sie schaute Billy T. an und zwinkerte.
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    »Vermutlich hat er in diesem Sessel gesessen. Der steht am dichtesten beim Fernseher. Und der ist immer ziemlich leise eingestellt.«
    Billy T. kam mühsam auf die Beine. Er ging zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit.
    »Und wenn Sie hier sitzen, ist die Tür dann offen?«
    »Da gibt es keine feste Regel. Bei mir steht sie immer offen, ja. Falls ein Kind mich ruft. Oder herunter kommt. Kenneth neigt zum Schlafwandeln.«
    »Aber von hier aus können Sie doch den Aufenthaltsraum nicht sehen!«
    Maren Kalsvik drehte sich zu dem Polizisten um.
    »Das brauchen wir auch nicht. Wichtig ist, daß wir die Kinder hören. Sie wissen, daß wir abends meistens hier sitzen. Manche von uns schlafen sogar hier, obwohl es im ersten Stock ein Bett gibt. Außerdem soll die Haustür immer abgeschlossen sein.«
    »Und kommt es vor, daß das nicht der Fall ist?«
    »Natürlich kann das vorkommen …«
    Der kleine Hilfsmechaniker kam weinend herein, zögerte kurz, rannte an Billy T. vorbei und warf sich auf Marens Schoß.
    »Glenn sagt, ich hätte Agnes umgebracht«, schluchzte er.
    »Aber Kenneth«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Was für ein Unsinn. Das glaubt nun wirklich niemand. Du hast sie doch so lieb gehabt. Und du bist selber so lieb.«
    »Aber er hat gesagt, ich hätte es getan. Und er sagt, daß die Polizei mich bald holen kommt.«
    Er weinte ganz schrecklich, mußte immer wieder nach Atem ringen und klammerte sich fest an die Frau. Vorsichtig faßte sie seine beiden Arme und lockerte deren Griff um ihren Hals, um ihm in die Augen schauen zu können.
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    »Lieber kleiner Kenneth. Der will dich bloß ärgern. Du weißt doch, daß Glenn das gern tut. Das darfst du nicht ernst nehmen.
    Frag mal den Mann hier, ob er dich holen will. Er ist von der Polizei.«
    Der Junge schien immer kleiner zu werden. Er sah babyhaft aus, mit großen, ein wenig hervorstehenden Augen und einem schmalen, fast kränklichen Gesicht, das in einem spitzen Kinn endete. Jetzt starrte er voller Angst Billy T. an und umklammerte Maren Kalsviks Hand.
    Billy hockte sich vor den Jungen hin. Er lächelte.
    »Kenneth. So heißt du doch?«
    Der Junge nickte kaum sichtbar.
    »Ich heiße Billy T. Manchmal werde ich auch Billy

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