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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Kaffee genannt.«
    Die verweinten Augen leuchteten kurz auf.
    »Siehst du, du hast ja doch Humor.« Billy T. grinste und fuhr dem Kleinen vorsichtig durch die Haare. »Ich will dir eins sagen, Kenneth. Wir glauben nicht, daß ein Kind das getan haben kann. Und in einem Fall sind wir hundertprozentig vollständig ganz und gar sicher, nämlich, daß du gar nichts getan hast. Hier …« Er streckte die Faust aus und nahm die kleine Kinderhand, die jetzt Marens losgelassen hatte. »Ich gebe dir die Hand darauf: Du wirst nicht von der Polizei geholt. Weil wir wissen, daß du nichts ausgefressen hast. Das sehe ich dir an.
    Ein toller, ehrlicher Typ. Und ich hab sehr viel Übung im Sehen von solchen Sachen.«
    Jetzt lächelte Kenneth, wenn auch nicht sehr überzeugend.
    »Ganz sicher?«
    »Ganz sicher. Großes Ehrenwort!«
    »Kannst du das nicht Glenn sagen?« flüsterte der Junge.
    »Aber sicher.«
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    Billy T. erhob sich und entdeckte Raymond, den Fahrrad-reparateur, der mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt dastand. Sie starrten einander kurz in die Augen, dann sagte Raymond mit ruhiger, tast monotoner Stimme: »’türlich war’s nicht Kenneth. Und ich auch nicht. Aber ich wär nicht so sicher, daß das nicht doch jemand hier aus dem Haus war.
    Dieser Olav war eine trübe Nummer. Der ist fast so stark wie ein Erwachsener. Und ich hab noch nie einen so brutalen Jungen gesehn. Außerdem hat er mir gesagt, daß er Agnes umbringen wollte.«
    Alles verstummte, die Kinder aus dem anderen Zimmer drängten sich hinter Raymond zusammen, um zu hören, was er zu erzählen hatte. Hanne Wilhelmsen hätte die Sache gern abgebrochen und sich unter vier Augen mit dem Jungen unterhalten, aber Billy T., der das ahnte, winkte ab.
    »Und das gleich mehrmals. Beim Schlafengehen zum Beispiel.
    Ich hab nie was dazu gesagt, die Neuen sind immer wütend auf alles und alle.«
    Jetzt lächelte er zum erstenmal. Abgesehen von seinen strähnigen Haaren und den vielen Narben war er eigentlich hübsch. Er hatte gleichmäßige weiße Zähne und dunkle Augen.
    »Anfangs war ich auch so. Aber bei Olav war es irgendwie schlimmer. Er kam mir so todernst vor. Er hat sogar gesagt, wie er es machen wollte. Mit einem Messer, hat er gesagt. Das weiß ich noch genau, ich fand es komisch, daß er nicht ein Schrotgewehr oder ein Maschinengewehr nehmen wollte, davon quatsche ich manchmal. Aber Messer kann man sich natürlich leichter besorgen. In der Küche liegen die doch haufenweise rum. Wenn ich ein Bulle wär, würd ich den Olav mal unter die Lupe nehmen. Und abgehauen ist er schließlich auch!«
    Das war offenbar alles, was Raymond zu sagen hatte. Er gähnte und wollte sich umdrehen und in den Aufenthaltsraum zurückgehen. Billy T. hielt ihn zurück.
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    »Aber das Messer, mit dem Agnes ermordet worden ist, war nicht von hier«, sagte er ruhig. »Ihr kauft eure Messer doch nicht bei IKEA.«
    Scheinbar gleichgültig zuckte der Junge mit den Schultern und ging davon.
    »Wenn du meinst«, murmelte er fast unhörbar. »Aber ich setze einen Hunderter auf Olav.«

    Olav hatte den Konservenfraß wirklich satt. Außerdem war sein Daumen wund und geschwollen. In dieser Küche gab es keinen normalen Dosenöffner, jedenfalls keinen, wie seine Mutter ihn hatte. Der, den er nach langer Suche gefunden hatte, war viel kleiner, und ihm tat die Hand weh, wenn er ihn benutzte.
    Zumeist hatte er den Inhalt der Dosen kalt gegessen. Und auch das hatte er satt. Er mühte sich mit dem halboffenen Deckel einer Dose Rentierfrikadellen ab und schnitt sich.
    »O verdammt!«
    Er steckte den Daumen in den Mund und lutschte daran herum. Er jammerte, als der Daumen die Wunde auf der Zunge berührte. Ein paar Blutstropfen waren in die Dose gefallen und zeichneten ein hübsches rotes Muster in die hellbraune Soße.
    »Scheißdeckel.«
    Er goß den Inhalt der Dose in einen viel zu großen Topf und drehte versuchsweise an einem der Herdschalter herum. Die Zahlen und Symbole, die zeigten, welche Platte zu welchem Schalter gehörte, waren verwischt. Aber er tippte richtig. Einige Minuten später dampfte die Soße, und er rührte noch zweimal energisch um. Ehe das Essen richtig gar war, stellte er den Topf einfach auf die Tischplatte und aß.
    Jetzt hatte er eine Nacht und einen Tag in diesem Haus verbracht. Er hatte die Küche nicht verlassen. Hier schlief er, und hier aß er. Ansonsten saß er auf dem Boden und überlegte.
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    Einmal hatte er einen Blick ins Wohnzimmer

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