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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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wünschten Sie, sie wäre schon wieder weg, was?«
    Der Mann nickte, dankbar für so viel unerwartetes
    Verständnis.
    »Na gut«, sagte Billy T. »Es dauert heute nicht lange.«
    Er bückte sich nach links, öffnete eine Schublade und fischte eine große durchsichtige Plastiktüte heraus. In der Tüte steckte ein Küchenmesser mit Holzgriff. Er legte es vor Odd Vestavik auf den Tisch, und der wich unwillkürlich ein Stück zurück.
    »Wir haben es saubergemacht. Daran klebt kein Blut mehr«, beruhigte Billy T. ihn.
    Der andere streckte eine schmale Hand nach der Tüte aus, hielt aber mitten in der Bewegung inne und blickte Billy T. fragend an.
    »Ist schon in Ordnung«, der Polizist nickte, »sehen Sie es sich nur an.«
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    Der Mann betrachtete das Messer lange. Irritierend lange.
    Billy T. schauderte es. Hier saß dieser arme Wicht und sollte ein Messer begutachten, das tief im Rücken seiner Frau gesteckt hatte. Und das vielleicht früher zahllose Butterbrote für die Familie geschnitten hatte, zu Hause, in einer gemütlichen Küche, bei einer kleinen, netten Kernfamilie.
    »Ist das Ihres?«
    »Das kann ich nicht beschwören«, sagte der Mann leise, ohne das Messer aus den Augen zu lassen. »Aber wir hatten ein ganz ähnliches. Ganz genau so eins, wenn ich mich richtig erinnere.«
    »Versuchen Sie, sich an besondere Kennzeichen zu erinnern«, bat Billy T. »Am Griff zum Beispiel. Der ist aus Holz, also kann er irgendwelche Eigenheiten haben. Da sind zum Beispiel zwei Kerben.«
    Um behilflich zu sein, beugte er sich vor und zeigte auf den unteren Teil des Griffes.
    »Da zum Beispiel. Das sieht aus, als ob jemand daran herumgeschnitzt hätte.«
    Der Mann starrte die Kerbe eine Weile an. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.«
    Jetzt sah er fast verlegen aus. »Aber ich habe die Küchenschubladen nicht so besonders oft aufgemacht. Wir waren ein bißchen … altmodisch, in der Beziehung.«
    »Ich koche auch nicht gern«, tröstete Billy T. ihn. »Ich tue es nur, wenn es unbedingt nötig ist. Aber auf jeden Fall hatten Sie so ein Messer?«
    »Ja. Es wäre leichter, wenn ich die anderen Messer auch sehen könnte. Dann wäre ich vielleicht ganz sicher.«
    Er blickte den Polizisten fragend an. Billy T. nutzte die Gelegenheit, um seinen Blick festzuhalten. »Die anderen Messer sind verschwunden«, sagte er langsam.
    197
    Der Mann hob nur mit ganz leicht überraschtem
    Gesichtsausdruck eine Augenbraue.
    »Wir haben den Verdacht, daß der Mörder sie mitgenommen hat.«
    »Sie mitgenommen hat?« Jetzt war die Überraschung schon deutlicher. »Was in aller Welt kann er damit gewollt haben?«
    »Das muß ein Geheimnis zwischen dem Mörder und der Polizei bleiben. Bis auf weiteres, jedenfalls.«
    Billy T. steckte die Plastiktüte mit dem Messer wieder in die Schublade und erhob sich.
    »Es tut mir wirklich leid, daß wir Sie herbemühen mußten«, sagte er und reichte dem Mann die Hand. »Ich hoffe, wir haben Sie damit zum letztenmal belästigt.«
    »Ach, das war doch nicht der Rede wert«, sagte Vestavik und erhob sich ebenfalls.
    Er sah steif und entsetzlich viel älter aus als fünfzig. Mit resignierter Miene nahm er Billy T.s ausgestreckte Hand.
    »Werden Sie denn irgend etwas herausfinden?« fragte er pessimistisch.
    »Ja, darauf können Sie sich immerhin verlassen. Weitgehend verlassen.«
    Als Billy T. Vestaviks Rücken im Treppenhaus verschwinden sah, erlebte er einen der großartigen Augenblicke, in denen er es wunderbar fand, bei der Polizei zu sein. Ganz wunderbar. Bei ihrer nächsten Begegnung würde er dem Mann erzählen, wer seine Frau umgebracht hatte. Da war er sich hundertprozentig sicher.
    »Auf jeden Fall neunundneunzig«, korrigierte er sich murmelnd.

    Hanne Wilhelmsen hatte die milde Zurechtweisung vom Morgen noch nicht ganz verdaut, versuchte aber, Tone-Marit 198
    und Erik nicht darunter leiden zu lassen. Alle drei beugten sich über das Geländer und schauten hinunter ins Foyer. Ein Fernsehteam mit gewaltiger Ausrüstung drängte sich durch die schweren Metalltüren. Ein Mann stritt sich mit einem der Aufsichtsleute, und Hanne nahm an, daß es die übliche Auseinandersetzung darüber war, ob die Presse die
    Behindertenparkplätze besetzen durfte oder sich weiter entfernt einen freien Parkplatz suchen mußte. Der Polizist trug natürlich den Sieg davon, und der Fernsehmann verschwand
    kopfschüttelnd, um seinen Wagen wegzufahren.
    »Die Jungs von der Aufsicht

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