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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Fahrstuhl machte pling, die Türen öffneten sich, und beide betraten die Galerie, die das riesige Foyer umkränzte.
    »Jetzt gleich?«
    »Ja. Und bring mir einen Kaffee mit.«
    Sie hatte das unangenehme Gefühl, daß ihr etwas
    Unbehagliches bevorstand, als sie in ihr Büro lief, um die Tasse mit ihrem Sternbild zu holen. Es hatte noch niemand die Kaffeemaschine im Vorzimmer angeworfen, und sie ließ sich Zeit, als sie Wasser einfüllte und die acht gestrichenen Löffel abmaß. Die Vorzimmerdame erschien, als die Maschine bereits gurgelte.
    »Taaaaaausend Dank, Hanne«, keuchte sie so dankbar, daß Hanne einen Hauch von Ironie witterte. In diesem Vorzimmer wurden so viele Tassen Kaffee gekocht, daß Hanne sich ab und zu fragte, ob sie deshalb mit der Arbeit immer im Rückstand waren.
    Sie schenkte ihre Tasse und einen Pappbecher für den Chef mit Kaffee voll, dann klopfte sie an die Tür, die ebenfalls vom Vorzimmer abging. Sie hörte nichts und klopfte noch einmal.
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    Als wieder keine Reaktion erfolgte – sie wußte ja, daß er dort drinnen war –, gestattete sie es sich, die Tür vorsichtig zu öffnen. Mit einer Tasse in jeder Hand war das nicht leicht, und es führte dazu, daß ihr der Pappbecher auf den Boden fiel. Der Kaffee spritzte an ihre Beine und verbrühte sie noch durch den dicken Jeansstoff hindurch.
    Der Abteilungsleiter lachte laut.
    »Da siehst du. Unhöflichkeit lohnt sich nicht«, sagte er und legte den Hörer auf die Gabel. »Astrid. ASTRID!«
    Die Vorzimmerdame schaute herein.
    »Mach das bitte weg.«
    »Aber ich kann doch –«, begann Hanne, wurde jedoch unterbrochen.
    »Setz dich.«
    Sie warf der Sekretärin einen bedauernden Blick zu, während Astrid mit verkniffenem Mund und mit ruckartigen, wütenden Bewegungen eine halbe Rolle Küchenpapier aufbrauchte, ehe sie Hanne und den Chef allein lassen konnte. Beide hatten die ganze Zeit geschwiegen. Hanne fühlte sich durchaus nicht wohl in ihrer Haut.
    »Wie gefällt dir das Dasein als Hauptkommissarin, Hanne?«
    fragte er und blickte ihr in die Augen.
    Sie zuckte leicht mit den Schultern und wußte nicht, worauf er hinauswollte.
    »Ganz gut. Ab und zu sehr gut, ab und zu weniger. Ist das denn nicht immer so?«
    Sie versuchte ein Lächeln, er jedoch verzog keine Miene.
    Er nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, die Astrid vor ihn hingestellt hatte, so hart, daß der Kaffee übergeschwappt war.
    Ein hellbrauner Kreis zeichnete sich auf der Schreibunterlage ab. Ein dicker Zeigefinger malte daraus ein Mickymausgesicht.
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    »Du warst eine hervorragende Ermittlerin, Hanne. Das wissen wir, du und ich und die meisten anderen hier im Haus.«
    Zwischen ihnen hing ein riesengroßes zitterndes ABER in der Luft.
    »Aber«, sagte er endlich. »Du darfst nicht vergessen, daß eine Hauptkommissarin andere Aufgaben hat. Du sollst leiten. Du sollst koordinieren. Und du mußt dich auf deine Leute verlassen.
    Darum geht es doch gerade. Jetzt ist Billy T. Chefermittler in dieser Kinderheimgeschichte, also ermittelt er. Es ist gut und lobenswert, daß du interessiert bist und dich auf dem laufenden halten läßt, aber du solltest deine Leute nicht vor den Kopf stoßen.«
    »Er fühlt sich doch überhaupt nicht vor den Kopf gestoßen«, protestierte Hanne und wußte, daß sie recht hatte.
    »Natürlich nicht«, sagte der Chef ziemlich müde und resigniert für diese frühe Uhrzeit. »Ihr seid befreundet. Er arbeitet gern mit dir zusammen. Himmel, der Mann hätte sich ohne dich doch nie im Leben versetzen lassen. Aber du hast noch andere Ermittler unter dir. Tüchtige Leute, auch wenn sie jung und unerfahren sind.«
    »Hat sich jemand beschwert?«
    Hanne wußte, daß sie sich möglicherweise wie eine beleidigte Leberwurst anhörte, hoffte aber, daß das nicht der Fall war.
    »Nein, das nicht. Aber ich spüre doch, daß irgend etwas nicht stimmt. Und ich sehe, daß du dich zu sehr einmischst. Oft ist es unmöglich, dich zu erreichen. Du bist viel zu oft außer Haus.«
    Er gähnte ausgiebig und kratzte sich mit einem Kugelschreiber am Ohr. »Ich habe mich dafür eingesetzt, daß du diese Stelle bekommst. Nicht viele in deinem Alter sind schon so weit. Und der einzige Grund, warum das nicht größeren Unwillen hervorgerufen hat, ist der, daß alle wissen, wie tüchtig du bist.
    Sorg bitte dafür, daß dieser Unwille nicht unnötig aufflammt, ja?
    Ich glaube noch immer, nein, ich weiß, daß du als
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    Hauptkommissarin ebenso gute Arbeit leisten kannst wie als

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