Das Elbmonster (German Edition)
halt so und nicht anders abläuft. Ob wir darin vielleicht teilweise unsere eigenen Wünsche, Sehnsüchte, Gedanken und Verhaltensweisen aufdecken, sei vorerst dahingestellt, denn es kann, muss aber nicht ein Spiegelbild unserer widersprüchlichen Existenz sein.
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit zunächst rückblickend noch einmal dem Geschehen im Stadttheater zu! Dort hatte ich nämlich gleichsam zwei weitere Schlüsselerlebnisse, die meine schon keimhaft vorhandene Vermutung noch erhärteten, dass mit unserem lobgepriesenen Spender irgendetwas nicht ganz in Ordnung sein könne. Dies flüsterte mir meine innere Stimme lautlos zu, glaubte ich mindestens. Aber zwischen einer vagen Annahme und ihrer praktischen Bestätigung liegt ja meistens ein himmelweiter Unterschied. Ob und inwiefern sich mein leiser Verdacht als zutreffend herausstellt, wird sich allenfalls im Verlaufe des weiteren Geschehens erweisen.
Wir erinnern uns sicherlich noch recht gut an jenen merkwürdigen Zwischenfall während der Festveranstaltung, als ich wegen einer vermeintlichen Kreislaufschwäche für kurze Zeit geistig abwesend war. Das geschah direkt nach dem geheimnisvollen Blickkontakt zwischen dem hochverehrten Redner und mir (wobei ich mehr denn je gewisse Zweifel daran hege, ob das besagte Phänomen wirklich durch Abel verursacht wurde, meinem überaus vertrauten Freund und Weggefährten).
Unmittelbar zuvor hatte er die Anwesenden nur mit einem lapidaren Satz dazu aufgefordert, sich bezüglich der mysteriösen Todesfälle an keinerlei Spekulationen zu beteiligen. So weit der uns vertraute Ablauf.
Im Nachhinein erfuhr ich von einem Bekannten, der auch zur Veranstaltung im Stadttheater war, dass Abel in der betreffenden Sache lediglich noch knapp auf die Ausführungen des Oberbürgermeisters verwies, welcher bereits umfassend darauf eingegangen sei und er darum nichts mehr hinzufügen wolle. Schließlich dürfe man zuversichtlich sein, dass die „zwölf“ (!) tragischen Vorkommnisse bald aufgeklärt würden. Nachdem er aus Versehen (?) eine falsche Zahl nannte, zumal eine wesentlich höhere als die bis dato bekannten sieben Fälle, wäre schlagartig ein furchtbares Raunen durch den Saal gegangen, welches sich im Handumdrehen zum blanken Entsetzen des Publikums steigerte, berichtete mein Gesprächspartner. Abel hätte jedoch seinen fatalen Irrtum sofort bemerkt und korrigiert, worauf sich die Gäste wieder allmählich beruhigten.
Diese anscheinend belanglose Ergänzung ist nicht schlechthin meiner damaligen gedanklichen Abwesenheit geschuldet, sondern vielmehr deshalb erwähnenswert, weil sie später noch ziemlich bedeutsam sein wird. Und den angeblich falschen Zungenschlag „zwölf“ habe ich selbst noch original vernommen. Er war der eigentliche Auslöser meiner schauderhaften Vermutung, ohne mir dessen sofort bewusst zu sein. Dieser Geistesblitz kam mir ein wenig später, wirkte jedoch umso heftiger.
Richtig ist, dass unser damals amtierender Stadtherr, Doktor Pohlack, zuvor als Hauptredner auftrat und die Verdienste der auszuzeichnenden Persönlichkeiten eingehend würdigte. Darüber hinaus verdeutlichte er aus gegebenem Anlass auch den aktuellen Stand der Ermittlungsarbeiten zur Klärung der tragischen Vorfälle in Meißen. Er musste jedoch betrübt und voller Sorge einräumen, dass es dafür noch keine heiße Spur gebe. Dennoch dürfe man sich nicht entmutigen lassen. Seine Mimik, Gestik und Wortwahl, kurz, das ganze Erscheinungsbild des Oberbürgermeisters vermochte indessen die aufmerksamen Hörer nicht über seine bedrückende Ratlosigkeit hinwegzutäuschen. Natürlich gab ihm niemand die Schuld an der rätselhaften Heimsuchung. So zeigte sich in allen Gesichtern tiefe Betroffenheit.
Jetzt, spätestens aber in seiner Dankesrede sollte sich unser spendabler Förderer erklären können, eine Offenbarung leisten, die urplötzlich Licht in die teuflische Finsternis gebracht hätte. Damit wäre zwar bei allen Anwesenden eine ungeheure Schockwirkung ausgelöst worden, gleichzeitig jedoch auch ein Hoffnungsfunke auf baldige Beendigung ihrer quälenden Albträume und der darin auftretenden nächtlichen Schreckensgestalten. Doch nichts dergleichen geschah, weder in diesem Moment noch danach während seiner wortreichen Ausführungen. Offenbar erwies sich der Dämon im Schatten, sein zweites Ich (Anonymus?), als stärker und zog ihn noch fest genug in seinen Bann.
Statt eines allumfassend befreienden Geständnisses kam er
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