Das Elbmonster (German Edition)
vermeintliche Besserwisser und aktive Widersacher finden. Na ja, damit kann und muss man leben. Es gibt wahrlich Schlimmeres, auch wenn man zuweilen das Empfinden hat, dass auf hiesigem Terrain einschlägige Krautköpfe besonders üppig gedeihen.
Außerdem lässt die hünenhafte Gestalt unseres neuen Bürgerchefs darauf schließen, dass er gegenwärtig der größte Oberbürgermeister Deutschlands ist (das habe ich zumindest einer offiziellen Verlautbarung entnommen). Mit der stolzen Körperlänge von 198 Zentimetern wird er vielleicht einiges besser überschauen als andere. Möge es nützen, ihm, der Stadt und dem Erdkreis! Überzogen? Mag sein. Aber aufrichtig gemeint! Schließlich hat es schon in grauer Vorzeit so manch edlen Recken infolge seines beflügelnden Geistes und erlauchten Charakters zu Heldentaten getrieben, die uns heute noch Ehrfurcht einflößen. Warum sollte sich unser jetziges Stadtoberhaupt nicht ebenso mutig in das aktuelle Kampfgetümmel werfen und sich dereinst wenigstens in den Analen der Regionalgeschichte geachtet sehen? „Mitnichten!“, sagen einige. „Abwarten!“, entgegne ich zuversichtlich. Eine hinreichend sachliche Wertung des Geschehens braucht sowieso eine gewisse zeitliche Distanz. Hat man die nicht, gerät man schnell in übertriebene Euphorie oder kaum begründbarer Ablehnung. Doch wem sage ich das?
Hoffentlich lässt sich der gute Mann von keiner Partei einfangen, ist mein persönlicher und sicherlich auch der Wunsch vieler Mitbürger, denn wo überwiegend engstirnige Interessen walten, da ist ohnehin äußerst selten eine würdevolle Toleranz zu erwarten. Dagegen sind in deutschen Landen mutwillige Brunnenvergiftungen schon weit häufiger anzutreffen, zumal wir im gegenseitigen Zerfleischen hinlänglich geübt bleiben. Mithin gewinnt man zuweilen den Eindruck, dass die Menschen in unserem neugermanischen Musterstaat lediglich noch durch die gemeinsame Mülltrennung halbwegs erträglich miteinander verbunden sind. In Wirklichkeit begegnen sie sich indessen meist viel freundlicher als uns der trügerische Anschein mitunter vermittelt, und das glücklicherweise bei Weitem nicht nur während der üblichen Faschings- oder Silvesterfeierlichkeiten.
Deutlicher als im gewöhnlichen Alltag zeigt sich allerdings dem aufmerksamen und gleichermaßen besorgten Beobachter eine gewisse Zwietracht in verschiedenen Einzelbereichen. Dies in der gegenwärtigen Politik nicht wahrzunehmen hieße, bewusst Augen und Ohren zu verschließen. Jedoch auch die Wirtschaft steht ihr nicht nach. In ihrer Führungsebene herrscht der Grundsatz: „Brauchst du einen Freund, so kaufe dir einen Hund.“ Na ja, eben das übliche Wolfsgesetz: „Fressen oder gefressen werden.“ Einige Leiter von Großunternehmen praktizieren und verkünden das sogar mit geschwellter Brust. Sie werden als moderne Helden gehandelt, und sie verkaufen sich natürlich auch als solche. Muss man sie deshalb unbedingt ernst nehmend oder gar anbeten?
Doch nun zu meinen bereits angekündigten zwei weiteren Schlüsselerlebnissen, die in mir abermals unwillkürlich misstrauisches Nachdenken über den kurz zuvor geadelten Geldgeber auslösten!
Bevor er zum Abschluss seiner bestechenden Ausführungen mit sichtlichem Stolz sein neuestes Vorhaben bekannt gab, verwies er freudig auf die (in jenen Tagen!) jüngsten Errungenschaften für die hiesige Jugend: Die schon vollzogene Übergabe der hervorragend ausgestatteten Behindertenwerkstätten in Meißen-Ost mache ihn ebenso glücklich wie die baldige Fertigstellung des zeitgemäßen Berufsschulzentrums auf der Goethestraße. Er selbst habe zwar an diesen Erfolgen keinerlei persönlichen Anteil, dennoch erfüllten sie auch ihn mit tiefer Genugtuung.
Bis dahin hatte niemand den geringsten Grund, an der Aufrichtigkeit seiner Worte zu zweifeln, auch ich nicht. Und ich kenne ihn wie kein anderer. Als er jedoch endlich auf seinen nächsten Plan zu sprechen kam und mich dabei nochmals für einen Augenblick forschend ansah, befiel mich wiederum plötzlich ein starkes Unbehagen. Aus ihm entwickelte sich innerhalb weniger Minuten ein seltsamer Verdacht. Dieser glich einer dunklen Ahnung, die sich allmählich bis zur gedanklichen Vorwegnahme einer möglichen Katastrophe steigerte. Noch blieb mein geistiges Bild von einer bevorstehenden Tragödie ziemlich nebulös, gespenstisch grob in seinen Umrissen, also schemenhaft und daher nicht näher bestimmbar. Nichtsdestoweniger wird es sich
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