Das Elbmonster (German Edition)
aufrichtig: Meine liebe Frau und ich verfügen zusammen nicht einmal über ein Zehntel der oben erwähnten Summe. Doch verzagt sind wir deshalb noch lange nicht, geschweige denn, wir missgönnten jemandem das besagte Amt. Uns genügt es meist schon, wenn die Gesundheit einigermaßen mitspielt, wir auf das Lebensnotwendige (manchmal auch ein bisschen darüber hinaus) nicht verzichten müssen und die Familie zusammenhält. Außerdem sind wir bislang finanziell noch in der glücklichen Lage, zu bestimmten Anlässen unsere nächsten Angehörigen und intimen Freunde mit kleinen Aufmerksamkeiten zu erfreuen. Oftmals reicht bereits ein Blumenstrauß, um zu vermitteln, dass wir gern an sie denken. Dieser Gepflogenheit frönen wir übrigens seit Langem fast wie einem heiligen Ritual. Und wir haben es noch niemals bereut.
Sicher, auch uns wäre es sehr recht, wenn wir generell oder wenigstens hin und wieder etwas mehr Geld unser Eigen nennen könnten. Das brächte wohl auch neue Wünsche mit sich. Für irgendwelchen prahlerischen Firlefanz würden wir die Moneten jedoch garantiert selbst dann nicht vergeuden.
In diesem Zusammenhang sehe ich als Verfasser des vorliegenden Buches nochmals eine passende Gelegenheit, werbend kundzutun, dass mir solche Gedankenflüge ein zwingendes Herzensbedürfnis sind. Es ist ein enormes Drängen in mir, und ich werde deshalb auch künftig nicht davon lassen können. Mögen folglich jene verehrten Leser Nachsicht üben und mir gewogen bleiben, denen einiges davon vielleicht schon zu entlegen vorkommt!
Sie, meine wackeren Begleiter, werden mir vermutlich zustimmen, wenn ich behaupte, dass jedes menschliche Individuum seinem Wesen nach eine geradezu paradoxe Existenz bildet, indem es immer zugleich Gerechter und Sünder ist. Darauf hat übrigens schon Martin Luther verwiesen. Philosophen sprechen hier vom dialektischen „Gesetz der Einheit und des Kampfes der Gegensätze“. Es wirkt universell, ergo sowohl in der gesamten Natur als auch in allen Gesellschaftsformationen und nicht zuletzt in unseren Köpfen, weil ihm die entscheidende Triebkraft jedweder Bewegung und Entwicklung innewohnt. Sonach halte ich es für ausgeschlossen, dass der Hauptakteur dieser Erzählung im gegebenen Fall eine Ausnahme bildet, denn auch er wird notgedrungen bis zu einem bestimmten Maße Gutes und Böses in sich verkörpern. Insofern dürfte generell ausschlaggebend sein, was davon jeweils zutage gefördert wird. Dominiert das verbrecherisch Niederträchtige, muss man selbstredend andere dagegen schützen.
Indessen darf ich nach jahrzehntelanger Erfahrung mit meinem brüderlichen Weggefährten voller Stolz verkünden, dass bei ihm zu keiner Zeit irgendwelche Teufeleien Oberwasser gewannen. Ihnen trotzte ausnahmslos das Ehrbare. Mehr noch: Nicht nur die äußere Erscheinung, sondern namentlich seine konkrete Verhaltensweise im alltäglichen Dasein, insbesondere gegenüber den nächsten Gemütern, zeugen von regelrecht vorbildhaftem Charakter.
Abel Kager, die personifizierte Leitfigur von einem Mann? Allenfalls sogar zum Schwarm vieler Frauen erkiesen? Zudem der ideale Lebensgefährte und Familienvater? Vielleicht. Doch wie lange? Wann und vor allem warum erfolgt der qualitative Umschlag seines Naturells ins Negative, falls es denn überhaupt jemals dazu käme? Selbst wenn ich das praktische Vollbringen einer derartigen Erwägung nach wie vor für absolut irreal halte, ist erwartungsgemäß auch mir längst geläufig, dass es immer und überall ein erstes und ebenso ein letztes Mal gibt, da nichts endlos währt. Das soll heißen: Alles ist zeitlich und räumlich begrenzt (es sei denn, je nach unserer weltanschaulichen Position, das „ewig Göttliche“ oder die „Materie an sich“ bilden Ausnahmen).
Oh, mein lieber Abel, mir schwant peu à peu furchtbar Schlimmes! Ich darf gar nicht mehr ernsthaft darüber nachdenken, sonst läuft mir unweigerlich kalter Schweiß über den Rücken, und mein Herz fängt an, wie verrückt zu rasen. Mehr denn je wird mir bewusst, dass uns früher oder später ereilt, was unter bestimmten Bedingungen unausweichlich kommen muss. Daher argwöhne ich zunehmend, es könne demnächst auch der letzte seidene Faden reißen, an dem wir beide offenbar jetzt noch hängen und mithin halbwegs sicher glauben. Unsere aktuelle Situation erweist sich indessen als höchst trügerisch. Sollte sich deine einstige Prophetie vom Brudermord nun doch bewahrheiten, indem uns gegebenenfalls
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