Das Elbmonster (German Edition)
mörderisches Eigenleben zu führen, im Sog tiefster menschlicher Abgründe erbarmungslos gefangen zu sein. Oder befindet er sich womöglich gar schon kurz vor einer gewaltigen Einlasspforte zur denkbar finstersten Hölle?
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Aufgrund der vielen skandalösen Betrugsfälle (zu Beginn des Jahres 2013 besonders in den Lebensmittelbereichen) hört man von aufgebrachten Leuten verschiedentlich, dass die dafür Verantwortlichen und ihre Helfershelfer ohne Umschweife ins Gefängnis müssten oder zumindest mit scharfen Worten öffentlich bloßgestellt werden sollten, und zwar wegen ihrer eindeutig inhumanen Praktiken großen Stils. Aber kaum jemand geißelt sie direkt mit Namen und Adresse, obwohl durch deren unersättliche Geld- und Machtgier nicht selten Millionen Verbraucher eine der vielen Schattenseiten des zügellosen Profitstrebens persönlich erleben. Stattdessen bestimmen jene Figuren, die aufgrund ihres finanziellen Reichtums den entsprechenden Einfluss im Staatsgefüge haben, zunehmend über das Wohl und Wehe der Nation, und das oftmals im Namen des Gesetzes.
Angesichts derartiger Alltagserscheinungen ist es schon beinahe verwunderlich, wenn selbst in einer materiell-technisch hoch entwickelten Gesellschaft wie der unseren, immer noch unzählige Mitbürger ernsthaft glauben, Recht und Gerechtigkeit hätten etwas miteinander zu tun oder wären gar identisch. Sie meinen, das frevelhafte Verhalten jener kriminellen Zeitgenossen und ähnliche Machenschaften skrupelloser Kapitalinhaber müssten zweifellos wirksam angeprangert werden, und da seien insbesondere die Medien gefordert, jedoch sorge unser Rechtsstaat seiner Bestimmung nach letztlich doch ausreichend für eine weitestgehende Gleichbehandlung aller Landeskinder.
Oh, welch hehre Worte! Selig, wer vorbehaltlos hiervon überzeugt ist und es fest verinnerlicht, denn ihm könnte vielleicht irgendwann im Himmelreich die erhoffte Gerechtigkeit widerfahren. Auf Erden hingegen herrscht das Recht, und das ist der zum Gesetz erkorene Wille der jeweils Mächtigen, dazu der Staat als ihr überwiegend willfähriges Instrument. Und das Volk, der vermeintliche Souverän? Na ja, für gewöhnlich wird es aller vier Jahre zur Wahlurne gerufen, manchmal auch mehrfach. Immerhin etwas, denn in der Epoche des Absolutismus war den hoheitsfürchtigen Massen nicht einmal das gewährt. Trotzdem bleibt es mitunter erstaunlich, dass uns das Leben so wenig schult, und ein besserer Lehrmeister ist weit und breit nicht zu finden.
Sofern einige unbedarfte Jurastudenten, speziell der niederen Semester, noch davon träumen, von Gottes Gnaden auserwählt zu sein, sich dereinst höchsteigen dafür einzusetzen, dass jedermann Gerechtigkeit zukäme, sollte man Nachsicht üben, weil es durchaus einem ehrenwerten Vorhaben entspricht. Spätestens während ihrer ersehnten Anwaltstätigkeit begreifen sie ohnehin, dass es sich dabei hauptsächlich um kaltblütige Geschäfte handelt, die mit Moral nichts zu tun haben. Heute, in der Welt des gnadenlosen Jagens und Gejagtwerdens, gilt das mehr denn je. Wenn aber reife, lebenserfahrene Menschen es teilweise auch nicht wahrhaben wollen, dass Recht und Gerechtigkeit einander so wenig gleichen wie der gefräßige Hai dem genügsamen Schaf, dann ist und bleibt das ziemlich merkwürdig.
Wäre meine diesbezügliche Vermutung ketzerisch, der Obrigkeit zu unterstellen, dass ihr eine solch treuherzige Anhängerschaft außerordentlich genehm ist und sie deshalb auch künftig keine Mühe scheuen wird, jeden schroff zurückzuweisen, der auch nur geringfügig daran rütteln möchte? Doch wie egoistisch sich die Betroffenen auch gebärden mögen, ihre Ammenmärchen ändern nichts am gegebenen Sachverhalt, dass der Begriff Recht einen juristischen Inhalt verkörpert, Gerechtigkeit dagegen einen moralischen, und zwischen beiden Kategorien besteht ein qualitativer Unterschied.
Wenn auch die altrömische Göttin der Gerechtigkeit, namens Justitia, als richtungweisendes Vorbild unserer Gerichtsbarkeit dienen soll und zuweilen tatsächlich eine gewisse Beachtung findet, kommen wir doch nicht umhin, betrübt festzustellen, dass sich Recht und Gerechtigkeit bei Weitem nicht täglich liebevoll umarmen, geschweige denn sich begehrlich heiß küssen, um schließlich vollends miteinander zu verschmelzen. Dem Wesen nach ist das Recht eher mit einer äußerst gefügigen Hure gleichzusetzen. Je nach Interessenlage der Herrschenden kann sein konkreter
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