Das Elbmonster (German Edition)
Nähe Gottes zu leben, so machte es mich bestimmt noch glücklicher als ich es ohnehin schon sein dürfte, wenn sich meine überaus düstere Prophezeiung nicht erfüllte. Leute, ich setze darauf und werde hoffentlich nicht enttäuscht! Schließlich vermag ich kaum noch zu verhehlen, dass ich mich angesichts einiger Entwicklungsprobleme in unserem heutigen Vaterland zuweilen schon fast unbändig dazu getrieben fühle, spätestens in der Stunde meines unabänderlichen Abschieds wie ehedem Julius Fucik allen Zeitgenossen mahnend zuzurufen: „Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wachsam!“
Postskriptum: Diese beschwörenden Worte formulierte der eminent begabte und ebenso politisch couragierte tschechische Literat und Kunstkritiker in seiner berühmten „Reportage unter dem Strang geschrieben“. Er wurde am achten September 1943 von willfährigen Schergen in Gestalt deutscher Gestapo (Geheime Staatspolizei) bestialisch ermordet (geboren 1903).
Sicherlich staunt jeder von uns hin und wieder sehr darüber, zu welch grausamen Taten manche „Kronen der Schöpfung“ bisweilen fähig sind. Aber ungläubige Verwunderung oder gar sprachlose Fassungslosigkeit allein genügen nicht, um Bestien im Zaune zu halten!
Indessen müssen wir uns jetzt endlich sputen und entschlossen Ausschau halten, um zu erkunden, was denn unser edler Freund Abel mittlerweile so treibt!
Es wäre nämlich ausnehmend schade, wenn er sich unserer Aufmerksamkeit entzöge, weil wir noch so manch Interessantes, darunter höchst Befremdliches, über ihn erfahren können, das uns gegebenenfalls als willkommene Anregung dafür dient, unser eigenes Leben gründlicher zu durchdenken.
Nie werde ich vergessen, dass er mich schon als Kind mit elfeinhalb Jahren, als wir uns das erste Mal sahen und ausgiebig miteinander sprachen, unter anderem durch sein fundiertes Wissen über die altgriechische Mythologie verblüffte. Bereits damals sagte er mir mit stolzer Zuversicht, er wolle im Verlauf seines irdischen Daseins unbedingt zwölf (!) besondere Taten vollbringen, so wie es dereinst Herakles (Herkules) machte, um fortan unsterblich zu sein. Jener Halbgott, Sohn des Zeus und der Alkmene, konnte sich im Auftrag des Delphischen Orakels freilich mit Heldentaten schmücken, um danach in den Olymp aufgenommen zu werden, die uns Menschenkindern wohl doch weitestgehend verwehrt bleiben. Er musste im Dienst des Königs Eurystheus zwölf schwere Arbeiten verrichten, darunter die Ställe des Augias ausmisten, den Höllenhund Zerberus bezwingen und ihn aus der Unterwelt heraufholen. Auch der Nemeische Löwe war erst zu besiegen, um dessen Fell zu tragen, bevor Herakles durch ein Gewand starb, das mit dem Blut des Nessos vergiftet war. Schließlich entrücke er in den Himmel und vermählte sich dort mit Hebe (Göttin der Jugend).
Dieser bedeutendste griechische Sagenheld ist seit eh und je das erklärte Vorbild unseres mysteriösen Abel.
Gleichermaßen erhob er schon in früher Jugend den folgenden Bibelspruch zum Leitmotiv seines Handelns: „Tue deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind!“ Das wiederum verband er mit einer Kampflosung der verwegenen Kreuzritter: „Hilf jedem – traue niemandem!“ zum ethischen Grundsatz seines Verhaltens gegenüber anderen Menschen.
Es ist eine aufschlussreiche Kombination von uralten Sehnsüchten und Weisheiten, mit welcher ihn seine klugen Eltern (wir erinnern uns: Der Vater war Dorfkaplan, die Mutter im selben Ort Lehrerin, wegen des Zölibats jedoch nicht miteinander verheiratet) auf seinen späteren Lebensweg bewusst vorbereiteten.
Und ich kann aus jahrzehntelanger Erfahrung mit ihm bestätigen, dass er sich bis vor Kurzem auch strikt danach richtete, obgleich ich ein wenig einschränkend hinzufügen muss, was sein Vertrauen zu anderen betrifft, so hatte ich niemals den Eindruck, er würde es mir nicht vorbehaltlos entgegenbringen.
Sicher, er war und ist ein schwieriger Partner, weil an sich und andere stets hohe Forderungen stellend, aber keineswegs undankbar. Im Gegenteil, wer sich einmal mit ihm auf Treu und Glauben fest verbindet, erfährt unter keinen Umständen einen persönlichen Nachteil. Er ist wie eine besonders wertvolle Perle, die selbst in der Mülltonne noch ihren strahlenden Glanz bewahrt. Jedenfalls war es bisher fast immer so.
Dessen ungeachtet fürchte ich seit mehreren Monaten zunehmend, dass sein zweites Ich damit beginnt, allmählich ein geradezu
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