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Das Elbmonster (German Edition)

Das Elbmonster (German Edition)

Titel: Das Elbmonster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerner, Károly
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umhüllt sie ein geheimnisvoller Schleier. Doch halt, verehrte Leser, ich muss mich sofort korrigieren und bitte um Nachsicht!
    Anfangs unterlag ich einem nahezu fatalen Irrtum, und daraus folgend übermittelte ich bereits in einem früheren Abschnitt anscheinend bedenkenlos eine fehlerhafte Aussage, was mir nunmehr auch sehr leidtun müsste. Aber wäre das aufrichtig? War nicht jene Vorgehensweise meinerseits eher literarisch zweckbestimmt als übereilt und leichtfertig? Trotzdem nichts für ungut, Achtung gebietende Interessenten, wer möchte, kann sich ja locker seinen eigenen Reim darauf machen!
    Jedenfalls stellte sich schon kurz nach der vorerst letzten Tragödie überraschend heraus, dass es sich dabei doch um einen Selbstmord handelte. Das ging eindeutig aus einem umfangreichen Abschiedsbrief hervor, den der betreffende Mann vorsichtshalber in seiner Wohnung hinterlassen hatte. Außerdem wurde die grauenvolle Szene des freiwilligen Exitus von einer älteren Dame aufmerksam beobachtet. Sie stand zufälligerweise oder vielleicht auch gewohnheitsbedingt genau an dem Fenster ihrer kleinen Mansarde, welches eine ungestörte Sicht auf das gesamte Objekt der Frauenkirche ermöglicht.
    Ihr trautes Heim befindet sich in einem vergleichsweise hohen Eckgebäude, das über mehrere Geschäfts- und Wohnräume verfügt. Es handelt sich um das architektonisch außerordentlich imposante „Hirsch-Haus“, ein markantes Neorenaissance-Objekt mit prachtvoller Sandsteinfassade, welches nicht zuletzt deshalb beiläufig auch oft als eine begehrte Filmkulisse dient. Dort werden im Parterre sowie auf der ersten Etage über eine Filiale des traditionsreichen Unternehmens „Fischer-Moden“ entsprechende Waren feilgeboten. Auch ein Goldschmied, ein Zahnarzt sowie eine Physiotherapeutin praktizieren gegenwärtig darin.
    Früher diente es über mehrere Generationen hinweg als Gasthaus, wo nicht selten auch hochrangige Persönlichkeiten weilten, darunter der weithin berühmte „Alte Fritz“, genannt Friedrich der Große (1712 bis 1786), ein aufgeklärter Monarch. Und der erwähnte Sakralbau steht schräg gegenüber auf der anderen Seite des Marktplatzes. Er ist der Inbegriff eines überwältigenden Blickfangs, gewiss zu jeder Tages- und Nachtzeit ungemein faszinierend.
    Gleich rechts daneben grüßt die weithin bekannte Romantikgaststätte „Vincenz Richter“. Dieses jahrhundertealte, besonders geschichtsträchtige Bauwerk zeigt sich innen vornehmlich mit einer durchaus sehenswerten Sammlung historischer Waffen geschmückt. Es verkörpert zweifellos auch in seiner äußeren Gestaltung eine vermutlich einmalige Attraktion.
     
    Unsere wachsame Seniorin vermag das aus ihrer heimischen Perspektive freilich nicht in Augenschein zu nehmen, weil es ihrem Blickfeld durch ein davor stehendes Gebäude verwehrt bleibt. Hiervon habe ich mich im Nachhinein ebenso überzeugt wie von den örtlichen Gegebenheiten, die für den Tathergang bedeutsam sind. Dagegen konnte sie entsetzt beobachten, wie der Todeskandidat vom Aussichtsturm des besagten Gotteshauses kraftvoll über die dort angebrachte Metallbrüstung sprang, halbwegs stehend auf dem Spitzdach landete (was bei dem riesigen Höhenunterschied zumindest mir völlig unglaubhaft erscheint), sodann augenblicklich noch einige Meter nach vorn balancierte und schließlich kopfüber hinabstürzte. Sein ohnehin wuchtiger Leib fiel unweit der Eingangspforte „Unserer lieben Frauen“ direkt auf ein Kopfsteinpflaster, welches aus längst vergangenen Zeiten teilweise auch noch anderwärts hiesigen Boden bedeckt, namentlich im Altstadtbereich.
    Damit ersparte sich der mutmaßliche Verzweiflungstäter offenbar vorsätzlich, die 193 Stufen wieder hinunterzugehen, auf denen er zuvor aller Wahrscheinlichkeit nach in einer seelischen Verfassung hochstieg, die unsereins eventuell bei einer ähnlichen Situation bestenfalls in groben Umrissen erahnen könnte.
    Das traurige Ergebnis ist uns schon bekannt.
     
    Ungeachtet ihrer begreiflicherweise hochgradigen Nervosität eilte die pfiffige Bürgerin daraufhin sofort zum nahe stehenden Telefon, um die Polizei über ihre grausige Beobachtung brühheiß zu informieren. Mag die Fantasie unserer betagten Dame angesichts der Ungeheuerlichkeit ihres Erlebnisses auch etwas beflügelt worden sein, womöglich noch gestärkt durch die manchmal berauschende Höhenluft im obersten Stockwerk ihres Domizils, so wird ihre taufrische Schilderung im Wesentlichen doch den Tatsachen

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