Das Elbmonster (German Edition)
entsprechen.
Andere Zeugen meldeten sich nicht. Gleichwohl hatten die Ermittler diesmal leichtes Spiel, den tragischen Vorfall zügig aufzuklären. Da er jedoch in mehreren Einzelheiten seines Ablaufs fast haargenau mit den zwölf vorangegangenen übereinstimmte, die bisher nicht enträtselt werden konnten, war man schnell geneigt, ihm vorerst dieselbe Wertigkeit zu verleihen.
Auch ich vermochte einer solch günstigen Verlockung nicht zu widerstehen, entfachte sie doch augenblicklich die ersehnte Zuversicht in mir, mein auserlesener Freund könne mit den verhängnisvollen Ereignissen in keinerlei ursächlichen Zusammenhang gebracht werden, da er seine „heilige Zahl“ niemals überschreiten würde. Indessen nahm das kaum oder nur äußerst selten berechenbare Schicksal seinen Lauf. Als schon bald nach dem bedauerlichen Zwischenfall der wiederum aufgeschreckten Bevölkerung offiziell mitgeteilt wurde, dass es sich hierbei unmissverständlich um eine Selbsttötung handle, war die allgemeine Überraschung perfekt. Das unerwartete Resultat wirkte sicherlich auf die meisten Einheimischen ein bisschen erleichternd, auf mich hingegen regelrecht schockierend, wusste ich doch wie kein anderer um die „magische Zwölf“ meines langjährigen Weggefährten. Plötzlich erwachten alte Zweifel zu neuem Leben. Dunkle Gedanken, die ich bereits weitgehend aus meinem Bewusstsein verdrängt und daher schon beinahe vergessen hatte, nahmen mich abermals unbarmherzig gefangen. Seitdem toben sie wieder fortwährend in meinem Kopfe, drücken schwer auf mein Gemüt und machen mich zuweilen vollkommen fassungslos. Das ist offenbar der ideale Grundstock zum Wahnsinn.
Bevor ich die oben aufgeworfene Frage nach dem aktuellen Handeln unseres dubiosen Abel beantworte, will ich ausgiebig verdeutlichen, was es denn mit „seiner Kardinalzahl“ so auf sich hat und worin sich das äußert.
Es wird häufig angenommen und mitunter sogar zäh behauptet, dass die Menschen zufrieden wären und sich bisweilen auch überaus glücklich zeigten, sobald sie haben, was sie brauchen. Doch sind sie es tatsächlich, und wenn, bis zu welchem Zeitpunkt? Wie lange währt gegebenenfalls der innere Friede in uns, die sehnlich erwünschte Harmonie zwischen dem unruhigen Geist und der ängstlichen Psyche? Einen Augenblick nur? Vielleicht einen Tag, mehrere Wochen oder Monate gar? Befinden wir uns nicht vielmehr auf der ständigen Suche nach dem vermeintlichen Gral, jenem geheimnisvollen Heiligtum, das uns sowohl den Sinn wie auch die Erfüllung allen irdischen Strebens zu schenken vermag?
Das Gralsthema ist uralt. Dazu gibt es zahlreiche Überlieferungen:
Es ist fundamental in der keltischen Mythologie enthalten (König Artus) und während der höfisch-christlichen Dichtung des Hochmittelalters ausgeprägt behandelt worden, maßgebend durch Wolfram von Eschenbach in seinem grandiosen Versepos „Parzival“. Der spezielle Gegenstand verlor auch im Verlauf nachfolgender Jahrhunderte nichts von seiner starken Anziehungskraft. So widmete sich bekanntlich neben vielen anderen Künstlern auch Richard Wagner mehrfach und in geradezu herausragender Weise diesem magischen Stoff, zum Beispiel mit der romantischen Oper „Lohengrin“.
Das zeugt nicht nur vom besonderen philosophischen und künstlerischen Reiz des Sujets, sondern gleichermaßen von seiner Unversiegbarkeit. Selbst in unserer hektischen Gegenwart, wo man doch hauptsächlich materiell orientiert und daher zuerst aufs Geld erpicht ist, hat das Thema gottlob nichts von seiner Faszination eingebüßt. Das lässt freilich hoffen. Und worauf?
Sinnträchtig wäre es allemal, wenn wir uns als denkende Wesen nicht schlechthin nur fortpflanzten, sondern stufenweise auch höher entwickelten, um uns endlich aus dem primitiven und ebenso gefährlichen Raubtierdasein zu befreien. Aber können wir das überhaupt? Wären wir generell dazu in der Lage, sofern wir es denn ehrlich wollten? Die Antwort muss wohl ein jeder für sich allein finden und eventuell sein Verhalten danach richten. Mir jedenfalls sind die Worte „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“, welche Jesus zu seinen Jüngern geäußert haben soll (Matthäus 26,11), durch eigene Erfahrungen ausreichend untersetzt und darum inhaltlich sehr vertraut. Also rasch weg vom moralischen Zeigefinger und wieder hin zu unserer Legende!
Nach einer alten Sage wird auf der Gralsburg, die sich im wilden Berg Montsalvatsch befindet, durch
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