Das Elbmonster (German Edition)
unterrichtet, und zwar sämtliche Fächer von nur einem Pädagogen. Das bedurfte natürlich sowohl einer straffen Organisation des Unterrichtsgeschehens wie auch einer strengen Disziplin. So unterstützten beispielsweise die älteren Jahrgänge regulär die jüngeren, und die Starken halfen den Schwachen, was durchaus den üblichen Gepflogenheiten entsprach.
In den acht Klassenstufen befanden sich jeweils drei bis vier Schüler (in meiner zwei putzige Grazien und ich). Der Unterricht erfolgte ausschließlich in ungarischer Sprache, obwohl die meisten Vorfahren der Kinder ursprünglich deutscher Herkunft waren, also zur entsprechenden nationalen Minderheit gehörten.
Der Lehrer, ein recht kleinwüchsiger, fast kahlköpfiger älterer Herr mit stark abstehenden Ohren und spitzer Nase, dazu spindeldürr und von arg piepsiger Stimme, also naturgegeben wahrlich nicht gerade vorteilhaft ausgestattet, jedoch stets vornehm gekleidet, zeigte sich durchweg außerordentlich streng. Wenn ein Zögling einmal nicht richtig gehorchte, gab es sofort eine kräftige Ohrfeige (was die älteren Jahrgänge vermutlich locker nahmen). Aber weit schlimmer, weil viel martervoller, wirkten die Schläge mit einem sehr biegsamen Rohrstock auf die ausgestreckten Hände oder gar auf die zusammengefügten und nach oben gerichteten Fingerspitzen. Das tat furchtbar weh, wie ich aus eigenen Erlebnissen zu berichten weiß, denn auch mich und meine Geschwister hatte es mehrfach erwischt. Und nicht immer konnte man die Schmerzenstränen unterdrücken.
Unsere besorgten Eltern hingegen reagierten darauf stets mit den Standardsätzen: „Das muss vielleicht sein. Es soll euch helfen!“ Kein einziges Mal äußerten sie sich während unserer Anwesenheit gegen die soeben erwähnten harten Erziehungsmethoden. Schließlich hielten wir das für völlig normal und klagten fortan niemals mehr darüber. Hinzu kam, dass wir unseren Lehrer trotz seines derartig strengen Durchgreifens und seiner ziemlich kümmerlichen Erscheinung im Grunde genommen doch respektierten und teilweise sogar aufrichtig mochten, vornweg wahrscheinlich wegen seines umfangreichen Wissens, wovon er uns fortwährend überzeugte.
Wir kannten ja auch keinen anderen, bis eines Tages regelrecht ein Wunder geschah, weil das „gescheite Hutzelmännchen“, wie ihn die Einheimischen sowohl anerkennend und ebenso etwas spöttisch unter vorgehaltener Hand oftmals nannten, urplötzlich verschwand, als wäre er für alle Zeiten vom Erdboden verschlungen worden, wofür sich vorerst natürlich keinerlei stichhaltige Erklärung fand. Das ereignete sich im Oktober 1946.
Nach ungefähr drei Wochen muss es Zeus höchstpersönlich gewesen sein, der uns ein göttliches Wesen sandte, von allen seinen Töchtern wohl die klügste und attraktivste, die er jemals in seinem Reich auf dem Olymp gezeugt hatte.
Wir verehrten die neue Pädagogin von Anfang an wie eine heilige Ikone. Sie war ungemein faszinierend, weil ausnehmend klug, dazu bildhübsch, von feingliedriger Gestalt sowie jugendlicher Dynamik und sicherlich auch im hohen Maße gerecht, kurzum, eine von uns inbrünstig angebetete Göttin voller Anmut und Schönheit. Ich will nicht verhehlen, dass mir jenes zauberhafte Geschöpf mit seinem unsäglichen Liebreiz bisweilen schon im zarten Alter von etwa zehn Jahren in meinen nächtlichen Träumen erschien, die selbstredend überaus wonnetrunken waren. Infolgedessen wünschte ich mir damals sehnsüchtig, derart entzückende Bilder hätten sich während des Schlafens viel öfter zeigen sollen, um mich als begierigen Jüngling in einen geradezu fabelhaft genüsslichen Freudenrausch zu versetzen.
Hierauf möchte ich verallgemeinernd sogar behaupten, dass uns die Frauen auf geheimnisvoller Weise fast ein Leben lang wohltuend beschäftigen. Sie haben anscheinend die naturbedingte Veranlagung, uns Männer immer wieder zu fesseln. Goethe hat das noch schöner in Worte gefasst: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“ So etwas Einzigartiges nenne ich ein Geschenk des Himmels!
Fortan gab es übrigens in unserer Schule auch keinerlei schmerzhafte Bestrafungen mehr. Wir Jungen erhielten zwar hin und wieder eine leichte Kopfnuss, doch auch das empfanden wir als eine außerordentlich wohltuende Berührung, mit der wir leider viel zu selten beschenkt worden sind. Kurzum, wir lernten tatsächlich der Lehrerin zuliebe. Ich habe es selbst anderthalb Jahre lang erlebt und weiß, wovon einst der namhafte
Weitere Kostenlose Bücher