Das Elbmonster (German Edition)

späteren Christen Paulus in einem Schreiben an die Gemeinde von Thessaloniki formuliert worden. Ach, auch dazu wäre noch soviel zu sagen!
    Stattdessen erlaube ich mir, die verehrte Leserschaft nochmals darauf zu verweisen, dass all meine Äußerungen mit nahezu gleichem Wortlaut auch von Abel Kager, unserem literarischen Protagonisten, stammen könnten, denn wir beide ähneln uns in vielerlei Hinsicht fast wie eineiige Zwillinge. Unser Denken und Tun ist zwar nicht durchgängig identisch, hat jedoch ein Optimum an Gemeinsamkeiten. Ergo sind wir fortan mit weiteren Charakterzügen des vorerst noch arg rätselhaften Helden vertraut.
    Das ist wichtig! Bitte fest einprägen! Und nun wieder vorwärts!
     
    Wenn freilich die Sturm- und Drangperioden bei einigen mehr oder weniger Betagten bereits stark gemindert oder gar völlig vorbei sind, bleibt immer noch der überaus prickelnde und zuweilen auch leicht berauschende Charme der Erinnerung an sie. Den kann uns niemand stehlen. Und Klagelieder helfen bestimmt am allerwenigsten weiter. Ansonsten gibt es neue Werte, die auch ihre originelle Verlockung haben. Ich kann mich jedenfalls, wie bereits erwähnt, recht gut leiden, und das sicherlich auch zur Freude anderer. Wer hingegen ständig mit sich und der Welt hadert, braucht sich nicht zu wundern, dass er allmählich vereinsamt, weil ihn die Gemeinschaft zunehmend ignoriert. Optimisten haben es jedenfalls leichter, einträchtige Beziehungen zu pflegen, als jene, die sich ständig misslaunig und verhärmt zeigen. Es ist größtenteils ihr eigenes Verschulden, wenn sie kontaktarm oder gar mutterseelenallein dahinvegetieren. Das klingt zwar hart, ändert aber nichts am Sachverhalt.
    Bei mir gesellt sich ja noch hinzu, dass ich mit fünfundsiebzig Lenzen oder gar darunter bestimmt nicht mehr sterben kann. Dies werte ich bereits als außerordentlich positiv, denn es ist für mich ungemein erquicklich, demnächst mein siebenundsiebzigstes Wiegenfest zu feiern. Donnerwetter, schon ein dreiviertel Jahrhundert Kaspertheater auf meinem ureigenen Konto! Wie viele andere schaffen das leider nicht, obgleich sie es auch gerne wollten, haben also weniger Zeit, sich am diesseitigen Garten Eden zu laben.
     
    Dessen ungeachtet meine ich, dass ausnahmslos jedes menschliche Individuum irgendwann von düsteren Gedanken eines gewaltsamen Abschieds befallen wird, sobald bestimmte Gewissenskonflikte, Seelenqualen oder anderweitige Schmerzen die Oberhand gewinnen und einen fast erdrücken. Da ist es gut und nützlich, wenn man jemanden hat, dem man seine schicksalsschweren Sorgen und Nöte vorbehaltlos anvertrauen kann, der einem schlichtweg zuhört und gegebenenfalls auch hilfreich zur Seite steht. Eine echte Freundschaft ist natürlich auch sonst nicht mit Gold aufzuwiegen. Kann es sein, dass so etwas Großartiges im vielfältigen Beziehungsgeflecht der Menschen hierzulande ständig rarer wird, sich zunehmend jeder selbst der Nächste ist? Das wäre eine höchst armselige Entwicklung und bei Weitem nicht nur der privaten Sphäre geschuldet, sondern hauptsächlich sozial verursacht. Aufmerksame Beobachter dürften zumindest kaum noch übersehen, dass immer mehr Mitbürger vereinsamen, oftmals von einem Traumata zum nächsten taumeln und überhaupt ein spürbarer Verfall moralischer Werte und Tugenden auf nahezu allen Gebieten vonstattengeht.
    Ach ja, es lebe die grenzenlose Freiheit! Nicht wenige der Herrschenden sonnen sich lieber am Götzendienst ihrer leichtgläubigen oder eigennützigen Mitläufer, statt nach den Ursachen derartiger Fehlentwicklungen zu fragen, um sie gezielt einzudämmen. Doch wer einmal oben schwimmt, hat ganz andere Sorgen als das gemeine Volk.
     
     
    Was davon auch immer richtig oder falsch sein mag, in meiner geliebten Heimatstadt ist jedenfalls erst nach dem vierten Sterbefall von ähnlich rätselhafter Prägung eine Sonderkommission aus Experten verschiedener Fachrichtungen unter strenger Führung eines sehr bewanderten Ermittlungsrichters gegründet worden, der sich wiederum aufs Engste mit einem besonders erfahrenen Kriminalisten zu den jeweils anstehenden Fragen vor Ort abstimmt. In jüngster Zeit wurden sogar internationale Koryphäen hinzugezogen, die ihre speziellen Kenntnisse und Erfahrungen einbringen sollen, weil mittlerweile Jahre dahinflogen und die Gründe der Todesserie zunehmend verworrener erscheinen, sinnbildhaft ein Dschungel von undurchdringlichem Dickicht. In einschlägigen Büchern und Filmen