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Das Elbmonster (German Edition)

Das Elbmonster (German Edition)

Titel: Das Elbmonster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerner, Károly
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Professorenkopf so alles hervorbringt! Es dürfte bestenfalls dafür reichen, auf der Karriereleiter weiter nach oben zu fallen (womit seine wirklichen Verdienste, über die er zweifellos verfügt, ja nicht infrage gestellt werden sollen).
    Als brauchte er damals sichtbare Kronzeugen für seine groteske Auffassung, geriet ja auch Meißen schon nach dem abscheulichen Vorkommnis vom neunten November 1999 unversehens ins Negativimage. Es war die entsetzliche Hinrichtung der Gymnasiallehrerin Sigrun Leuteritz durch einen ihrer Schüler. Der Pennäler verletzte sie namenlos kaltblütig während des Unterrichts und damit direkt vor den erstarrten Augen seiner Mitschüler durch zweiundzwanzig (!) Messerstiche so stark, dass sie kurz darauf im Schulhaus verblutete.
    Notabene: Wie es der Zufall wollte, waren meine Ehegattin und ich über Jahre hinweg mit ihr befreundet, und somit kann sich jeder leicht vorstellen, welch furchtbaren Schock die fast unglaubliche Freveltat seinerzeit auch bei uns auslöste.
     
    Der Täter befindet sich übrigens seit Kurzem wieder auf freiem Fuß. Er bekam wegen „mildernder Umstände“ (psychische Störungen) nicht die Höchststrafe von zehn Jahren aufgebürdet, sondern nur (?) siebeneinhalb, die er mittlerweile in einem Jugendstrafvollzug verbüßte. Die Mutter der Getöteten vermochte ihm sein unerhörtes Verbrechen nicht zu verzeihen, obwohl sie sehr christlich geprägt war (sie ist letzthin verstorben). Ich konnte die Frau verstehen, und zwar unabhängig davon, wie ich mich an ihrer Stelle verhielte. Das weiß ich sowieso nicht.
    „Es genügt auch, wenn Gott dem einstigen Sünder jetzt oder spätestens am Ende seiner Tage vergibt.“ So lauteten die tröstenden Worte des betreuenden Priesters an die überaus leidvoll geplagte Hinterbliebene, die zu jener Zeit fast schon gänzlich erblindet und bald darauf auch alleinstehend war, weil ihr Mann ein Jahr nach dem grässlichen Massaker an Krebs verstarb. Glücklicherweise fanden sich rasch mehrere Personen, die sich seit der abscheulichen Heimsuchung fürsorglich um sie kümmerten.
    Dennoch erwiesen sich die tragischen Verluste ihrer Liebsten als unermessliche Schicksalsschläge, insbesondere der nach wie vor nicht zu begreifende fürchterliche Tod ihres einzigen Kindes.
    Wie kann ein Mensch so viel Unheil überhaupt ertragen, die gewiss außerordentlich harte Marterzeit überstehen, frage ich mich manchmal ziemlich ratlos und gleichermaßen besorgt. Wahrscheinlich schöpfte sie eigens dafür noch eine zusätzliche Kraft aus ihrem Glauben.
    Gleichwohl offenbare ich hierauf unverblümt:
    Infolge der unsäglich bitteren Tragik und meiner soeben geäußerten Gedanken dazu, die mich wie damals erneut aufs Äußerste berühren, möchte ich sie am liebsten nochmals fest in die Arme schließen. Ich würde ihr auf meine Art von Herzen wünschen, sie möge jenen Mut zum Weiterleben stärken, welcher ihr schon unmittelbar nach dem tragischen Verlust ihrer Tochter durch den achtsamen Beistand ihrer Nächsten zuteilwurde, damit ihr auch der Herbst des Lebens einigermaßen erträglich und daher lohnenswert begegnet. Aber das fügt sich leider nicht mehr.
     
    Dieses überaus heikle Thema bringt mich zum wiederholten Male regelrecht aus der Fassung. Mir ist momentan zumute, als würde alles in mir rebellieren. Verdammt, ich muss jetzt dringend eine kleine Verschnaufpause einlegen, mich erheben, zum Balkon eilen, gezielt mehrere Atemzüge sehr tief Luft holen, um meine nunmehr brennend entflammte Innenwelt ein wenig abzukühlen und vor allem halbwegs zu beruhigen, wenigstens vorübergehend! Dabei ist es doch erst acht Uhr morgens, und ich habe noch nicht länger als eine Stunde an diesem Text gearbeitet. Ohnehin könnte ich allenfalls noch etwa sechzig Minuten dranbleiben, weil mich hernach beinahe täglich eine andere Pflicht ruft, besonders im Sommerhalbjahr. Aber ich verspüre zunehmend flatternde Herzschläge und einen heißen Kopf, verstärkt durch ein äußerst unbehagliches Gefühl, als würden Körper, Geist und Seele gleichzeitig aufbegehren. Was ist nur wieder los mit mir? Ich bin doch wie immer, weil vom früheren Berufsleben so gewöhnt, pünktlich sechs Uhr aufgestanden, habe mein traditionelles Ritual absolviert, darunter gymnastische und Yogaübungen, auch schon ein bisschen gegessen und getrunken, die übliche Morgentoilette sowieso erledigt. Und draußen lacht die Sonne! Doch was nun? Habe ich mich etwa zu früh aus meiner Koje gedreht?

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