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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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Physiker zu sein, weil dann der Abend begann. Abends aber war er nicht einfach Astor Elamit, sondern ein weltbekannter Schriftsteller.
     Er ging gemächlich, obwohl er sich gerade heute hätte beeilen müssen. Doch er schaute in jede Tür, betrat das eine oder andere Zimmer, sah sich um, warf einen Blick auf die Schränke und die Geräte. Er erholte sich. Dies war die kurze Unterbrechung, die Atempause zwischen jenen beiden Zuständen, die er mit unabänderlicher Periodizität jeden Tag durchlief. Ja, Zuständen, nicht Berufen. Es waren die wenigen Minuten, in denen er sich gestattete, nicht dieser und nicht jener zu sein, sondern einfach ein müder, von allem freier Mann. Und wie immer verwendete er diese Minuten darauf, Rika zu finden, er wußte, daß sie das Institut noch nicht verlassen hatte.
     Er fand sie auf dem Fensterbrett im kleinen Kybernetiklabor. Dort saß sie, das Kinn auf die Knie gelegt, traurig und düster; Astor hatte ihr zu all ihrem kleinen Mädchenkummer gerade noch gefehlt.
     Er ging zu ihr und blieb stehen, es mußte etwas gesagt werden. Aber er wußte selbst nicht recht, weshalb er sie suchte. Es war wohl so, daß es ihm schlicht Freude machte, sie zu sehen. Doch jetzt, da er sie anschaute und in sich nach dieser Freude forschte, einer kleinen Freude wenigstens, da fand er sie nicht, sie kam nicht auf, es war immer dasselbe. Was gab es Gemeinsames zwischen ihm, dem soliden Mann der Wissenschaft, und ihr, diesem flachsblonden Ding, dieser nachlässigen, Praktikantin? Er fragte sich nicht erst heute, welche dunkle Kraft ihn dazu brachte, sie zu suchen, sich dumme, fremd klingende Phrasen abzuquälen, nie zu wissen, womit er anfangen und, was das schlimmste war, womit und wann er sich verabschieden sollte, und dennoch zu sprechen, dennoch sie anzuschauen…
     »Warum sind Sie noch da?« fragte er in unerträglichem Ton. »Sie wissen doch, daß die Energie im ganzen Institut abgeschaltet ist.«
     Sie sah von der Höhe ihres Fensterbretts auf ihn herab und antwortete knapp: »Ich verbrauche keine Energie.«
     Nicht übel, dachte Astor, aber was werde ich am Abend mit dieser Szene machen, wenn alles nicht mehr im Leben, sondern in meiner Novelle geschieht, wenn ich nicht mehr ich selbst, sondern ein anderer sein werde, jünger und charmanter, wenn ich nicht mehr diesen blöden Namen Astor tragender so wunderlich nach einem edlen Jagdhund klingt, sondern jener Stor bin, der äußerlich an einen schönen Hauptmann aus einem alten Unterhaltungsroman erinnert, mit allen Eigenschaften versehen, die mir selbst fehlen? Mit dem Mädchen ist alles klar, die hab' ich schon aus der schlaksigen, flachsblonden Rika zur goldlockigen Schönheit Regina gemacht, aber was wird mit diesem Dialog? Kann ich zulassen, daß Sie sich in meiner Novelle so flegelhaft gegen Stor benimmt?
     »Gehen Sie nach Hause«, sagte er, so streng er konnte. »Praktikanten dürfen sich nur unter der Aufsicht von Mitarbeitern in den Institutsräumen aufhalten.«
     »Beaufsichtigen Sie mich doch«, sagte sie, zog die Knie an die Brust und schuf so ein bißchen Platz auf dem Fensterbrett. »Setzen Sie sich daneben und beaufsichtigen Sie mich.«
     Nun, Täubchen, dachte er, das merke ich mir bestimmt. Meine Regina wird bestimmt sagen: Beaufsichtigen Sie mich doch. Und dabei wird sie ein bißchen Platz auf dem Fensterbrett machen. Aber das ganze Unglück ist, daß ich, nein, nicht ich, sondern Stor sich dazusetzen wird und was dann geschieht, mein Gott, was geschieht dann… Ich weiß ja, daß das alles banal bis zum Überdruß ist, es kann einem übel dabei werden, und trotzdem werde ich es schreiben. Das ist Literatur, hol sie der Teufel.
     »Hören Sie, Mädchen«, sagte er und wußte im voraus, daß er nicht das sagen würde, was zu sagen war. »Ich habe Ihnen mehrfach geraten, den Beruf zu wechseln. Verlieren Sie keine Zeit, ein ordentlicher Physiker wird doch nicht aus Ihnen. Dazu braucht man eine andere Art Charakter.«
     »Ich hab' gar nicht vor, ein ordentlicher Physiker zu werden.« Sie war nicht im geringsten verlegen. »Damit fange ich nur an. Und dann werde ich Wirklicher Schriftsteller, wie Sie.«
     Er blickte sie erstaunt an. Von seinem zweiten Beruf – seinem zweiten Zustand, korrigierte er in Gedanken – hatte er im Institut nie gesprochen.
     »Das ist viel schwerer, als einfach Physiker zu werden«, sagte er langsam. »Man kann sein Leben lang schreiben und es doch nicht zum Wirklichen Schriftsteller

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