Das elektronische Glück
zu ihrem natürlichen Ende gelangt, und dieses Ende mußte auch das Ende seines Stor werden. Nicht, daß es unbedingt tragisch zugehen mußte – piff-paff oder ein Teelöffel Gift. Das Ende kam selbst dann, wenn es hieß: Sie heirateten und lebten lange und glücklich. Das Ende war der Punkt, an dem der Held, den man aufgezogen und in Szene gesetzt, den man gelehrt hatte, alle die Wunder zu vollbringen, zu denen man selbst nicht imstande war – an dem dieser Heid den ihm zugemessenen Abschnitt seines Weges absolviert hatte; Kulmination, Auflösung, und weiter ordnete er sich einem nicht mehr unter, weiter hatte er nichts mehr mit einem zu tun. Er gehörte einem nicht mehr.
Und so ging man dahin, plagte sich, ehe man den letzten Punkt setzte, suchte nach einem Mittel, seinen Helden wenn nicht überhaupt unsterblich, so doch wenigstens auf menschliche Art sterblich zu machen, aber man vermochte nichts dergleichen auszudenken, zögerte das Ende hinaus, bis so ein Tag wie heute kam, an dem man unausweichlich Schluß machen mußte. Weil ein Wirklicher Schriftsteller nicht berechtigt war, aus dem Leben zu scheiden, ohne das Schicksal seines Helden entschieden zu haben. Das war grausam, aber gerecht, weil sonst alle versuchen würden, ihre Werke unvollendet zu lassen, damit ihre Helden das illusorische Leben im Studio des Schriftstellerverbandes weiterleben konnten, ein Leben in einer Welt der Dekorationen und projizierten räumlichen Gestalten, die als Randfiguren dienten, aber ein Leben immerhin.
Es ist sehr schwer, die Existenz des eigenen Helden zu beenden, und deshalb wurde das Recht, Wirklicher Schriftsteller zu sein, nur sehr mutigen Menschen zugebilligt. Astor rechnete sich selbst nicht zu dieser Art von Menschen, aber offenbar taten es andere; er machte sich nichts vor, und jetzt, wo seine erste Novelle, die nicht auf Papier geschrieben, sondern von durch ihn geschaffenen lebendigen Menschen gespielt worden war, faktisch längst ihr Ende gefunden hatte, da fehlte ihm der Mut, den Punkt zu setzen.
Doch heute mußte er das tun, weil morgen in seinem Laboratorium ein Experiment angestellt wurde, das ziemlich tragisch ausgehen konnte. Astor vermochte damit niemand anderen zu betrauen, er führte es selbst durch, er allein wußte, wie groß das Risiko war.
Morgen war alles möglich.
Also mußte heute Schluß mit Stor sein.
Astor erreichte die Stufen seines Hauses und blickte sich um. Wie ein schneebedeckter Berg ragte der Riesenblock des Instituts über den Kiefern empor. Wahrscheinlich war Rika wieder aufs Fensterbrett geklettert und sah ihm nach. Die flachsblonde Rika, die er jeden Tag unbedingt einmal sehen mußte. Woher mochte sie von seinem zweiten Zustand erfahren haben? Und dann dieses »Ich will lebendige Menschen schaffen«… Im Studio war es nicht üblich, von seinen Helden zu sagen, sie seien lebendige Menschen. Man sprach von »szenischen Biorobotern« oder »materialisierten Gestalten«.
Doch es waren tatsächlich lebendige Menschen, die ein kurzes, vorgezeichnetes, aber verteufelt farbiges und beneidenswertes Leben führten. Wie Stor.
Astor, setzte sich, zog das Diktaphon zu sich heran und fühlte plötzlich… Es war ein seltsames, unwahrscheinliches Gefühl momentaner Allmächtigkeit. Hol der Teufel alles auf der Welt, du bist ja doch kein Dummkopf, sogar ein ziemlich talentierter Mensch. Ein Wirklicher Schriftsteller dazu! Also such einen Ausweg, tu das Unmögliche, rette deinen Stor! Noch ist Zeit dafür. Halte dich nicht mit all diesen Amouren, Fensterbrettern und Goldlocken auf! Die Hauptsache ist Stor. Rette ihn!
Er schaltete das Diktaphon ein.
»Als er das Institut verließ«, begann er, »wußte Stor Elamit, daß er Regina weder jetzt noch später, daß er sie überhaupt nicht mehr wiedersehen würde.
Dieses rothaarige Ding, dachte er, die dematerialisiere ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Er ging eilig die Allee entlang, doch dort, wo sie auf sein Haus stieß, verlangsamte er den Schritt, bog um das Haus herum und befand sich auf dem Landeplatz, auf dem ihn jeden Abend von fünf Uhr an ein kleines Sportmobil erwartete. Er stieg mit der Maschine auf und befand sich zwanzig Minuten später bereits dort, wo sich hinter dichtem Kiefernwald die rauchige Mauer des Studios des Schriftstellerverbandes erhob. Sie grenzte ein Territorium von mehreren hundert Quadratkilometern ein und erschien daher völlig gerade, so daß man aus einigen Dutzend Schritten Entfernung
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