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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
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nicht. Ach, was bin ich für ein Dreck! Ich sitze da und höre zu.
     »In ihm verkörperte ich mich selbst«, redete der Alte monoton weiter. »Nicht so, wie ich bin – ein bißchen besser… und jünger. Jung konnte ich ihn nicht machen, wahrscheinlich hatte ich schon verlernt, davon zu träumen. Er war so, wie ich jetzt werden möchte, wenn ein solches Wunder möglich wäre. In mittleren Jahren, kein Genie, keine Weltberühmtheit, einfach ein Mann, der ehrlich seine Arbeit verrichtet. Und was die Hauptsache ist, ich wollte ihm meinen ganzen Schmerz mitgeben, mit dem man einen Helden schafft und mit dem man sich dann von ihm trennt.«
     Ich versteh' ihn nicht mehr, dachte Astor unwillkürlich. Er ist selbst Schriftsteller, und sein Held ist Schriftsteller. Aber, zum Teufel, er ist doch gar kein richtiger Mensch, irgendein anderer hat ihn geschaffen, was ist das für ein Blödsinn, wie eine Matrjoschka, die Puppe in der Puppe…
     »Verzeihung, Sie nannten Ihren Namen nicht«, sagte er.
     »Ich bin ein Wirklicher Schriftsteller«, erwiderte der Alte wehmütig.
     »Das sagten Sie schon.«
     »Ich bin ein wirklicher Wirklicher Schriftsteller.«
     Was für ein Fieberwahn… Astor rieb sich die Stirn, verzog das Gesicht, als habe er Schmerzen. Und dann ging ihm ein Licht auf. Das war ein Mensch! Ein Mensch wie er selbst! Der hatte genau wie er die verbotene Grenze über schritten, um jemand zu retten. Nun waren sie zwei. Zu zweit würde ihnen schon noch etwas einfallen. Zu zweit war vielleicht etwas zu machen.
    »Wie heißen Sie?« fragte er erregt.
    »Kastor Elamit«, sagte der Alte.
     Astor stand auf. Langsam setzte er sein Bein über den Baumstamm zurück, blickte auf seine Hände und verbarg sie in den Taschen. Es kam ihm vor, als krieche der rauchige Dunst der Mauer hinter den Bäumen hervor und auf ihn und den Alten zu.
     »Ja«, sagte Astor. »Ja… Das ist eine sehr komische… Übereinstimmung.«
     Der Alte schwieg.
     »Sie sind Kastor Elamit… Ja. Aber wer bin ich dann?«
     Der Alte antwortete wieder nicht.
     »Und woher komme ich?«
     Der Alte sah schweigend auf die graue Mauer, die sich in den Wolken verlor. Hinter dieser Mauer wuchsen Bäume, die nur zur Hälfte existierten. Nein, sie wuchsen nicht. Sie standen einfach da, diese Attrappen. Wachsen kann nur, was lebt. Es bedurfte keiner Beweise, keiner Erklärung. Man brauchte sich nur an diese Baumhälften zu erinnern, um zu begreifen. Das Studio war dort, hinter der Mauer. Und dies hier, das war die Welt der Menschen.
     »Sie möchten, daß ich mir selbst antworte? Gut. Ich bin ein Bioroboter. Ein Anthropoid ohne Rückkopplung, geschaffen nach dem Bilde und Willen des Autors. Genau so, wie ich selbst meinen Stor schuf. Etwas jünger und etwas besser. Stimmt's? Und Ihr Name, den Sie um einen Buchstaben kürzten…«
     Trotzdem war das unglaublich. Besonders, wenn es laut ausgesprochen wurde. Der Gedanke, man sei nur ein Roboter, war schrecklich. Aber laut ausgesprochen, wurde er einfach Blödsinn, man mußte nur sprechen, sprechen und wieder sprechen, damit sich im Klange der Worte ihre Unsinnigkeit mit höchster Klarheit herausstellte.
     »Das heißt, die Welt, in der ich bis jetzt lebte, ist eine Welt der Dekorationen, imitierten Geräusche, materialisierten Gestalten? Eine Welt der Attrappen und vorher aufgenommener Hintergrundfilme? Eine Welt nichtexistenter Entfernungen und Höhen? Eine Welt der niemals wirklich erlebten Kindheit, einer für mich erfundenen Liebe?«
     Er stockte. Rika. Seine Rika und die Unmöglichkeit, auch nur einen Tag zu leben, ohne sie zu sehen…
     »Heißt das, auch Rika war nicht wirklich?« flüsterte er.
     »Ja«, sagte der Alte. »Ich gab dir, wovon ich selbst träumte, ganz egal, was für eine, Hauptsache eine junge, ganz junge, unwahrscheinlich junge, und nichts weiter, nur sehen, einmal am Tag sehen.«
     »Ach so.« Astors Stimme klang ruhig, erstaunlich ruhig. »Einmal am Tag sehen. Auch das war also von Ihnen. Nichts war mein. Ja, natürlich. Jetzt wird es mir klar. Die fremden Worte. Ich sagte ihr fremde, dumme Worte. Aber was war denn mein eigenes? Wenigstens irgend etwas?«
     »Astor«, sagte der Alte, und es hörte sich an wie »Astor, mein Kind«, »von dem Augenblick an, als du von dort herauskamst, hörtest du auf, mein zu sein.«
     »Ich danke«, stieß Astor hervor. »Ich danke für die fünf zehn Minuten unabhängigen Zustand, die mir nicht einmal dazu ausreichen, ich selbst zu werden.

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