Das elektronische Glück
plötzlich, und Astor fühlte sich in einer seltsamen kristallischen Leere. Unter den Füßen war eine dünne silbrige Folie, und ringsum war einfach – nichts. Eigentlich müßte man in dieser Situation Entsetzen fühlen, dachte er; doch er spürte nur ein großes Staunen und ging schnell weiter, die Arme noch immer vorgestreckt, geriet nach einigen Schritten von neuem in eine Nebelwand, die rätselhaft aufgetaucht war und wieder verschwand, und da begriff er, daß er auf der anderen Seite angekommen war.
Das war's, sagte er sich, und es war ganz einfach. Ein Mann kann also praktisch durch diese Wand gehen, die Strafe ist allerdings der Ausschluß von der geliebten Arbeit, ein hoher Preis, gewiß. Und wie ist das für die Bioroboter? Ob sie auch durch die Mauer gehen können? Ware es nicht einfacher gewesen, Stor zu befehlen, zu mir in die Welt der Menschen herauszukommen?
Aus irgendeinem Grund war ihm das früher nicht eingefallen. Es war sicherlich unmöglich. Sicherlich, wieder diese merkwürdige Unbestimmtheit, diese Lücke im Bewußtsein. Warum wußte er eine so wichtige Sache über seinen eigenen Stor nicht?
Der Gedanke an Stor aktivierte ihn. Es war keine Zeit zum Grübeln. Er befand sich im Studio, auf verbotenem Gelände. Jetzt galt es nur, schnell zu sein und sich nicht fassen zu lassen. Er mußte Stor treffen, dann würde er weitersehen. Vielleicht war dann auch zu klären, ob ein Bioroboter durch die Mauer dringen konnte. Durch die Mauer, die er durchschritten hatte, von der er aber nichts genauer wußte. Astor Elamit ging weiter, suchte die Stelle, die er in seiner Novelle zweimal beschrieben hatte, doch noch waren weder der knorrige Baumstumpf noch Stör zu sehen, der auf diesem Baumstumpf sitzen mußte.
Ihm wurde unheimlich zumute. Was heißt – unheimlich! Lähmendes Entsetzen packte ihn, wie man es nur aus Kinderträumen kennt, wenn man mit rasender Geschwindigkeit in eine bodenlose Tiefe stürzt, die unsichtbare, federnde Masse unter einem sich weiter und weiter öffnet, man tiefer und tiefer stürzt, leichte, eisige Bläschen vom Grund aufsteigen, die durch den Körper dringen und nach oben fliegen, wohin man selbst nie, nie mehr zurückkehren kann, weil alles endgültig verloren ist, und man ist ganz allein schuld daran.
Astor begriff, daß er die Stelle verfehlt hatte.
Er spürte nicht einmal den Wunsch, loszurennen, zu rufen, zu schreien. Das Studio umfaßte Hunderte von Quadratkilometern. Wohin sollte er denn laufen? Nach rechts? Nach links? Wieso war er überhaupt sicher gewesen, genau an die Stelle zu gelangen, an der Stor ihn erwarten würde? Woher hatte er gewußt, daß er gerade hier durch die Mauer gehen mußte?
Seltsam, er war sich dessen sicher gewesen. Jetzt dagegen wußte er gar nichts mehr, überhaupt nichts, nicht einmal der Gedanke an Umkehr bewegte ihn. Schwerfällig bahnte er sich den Weg durchs Gebüsch, irgendwo seitlich hinein, ohne weiter nachzudenken, schwankend und stellenweise auf den abge fallenen, trockenen Kiefernnadeln ins Rutschen geratend. Er blieb erst stehen, als er ein kahles, sonniges Hügelchen erreichte; dort saß ein alter Mann, der die Augen halb geschlossen hielt, als wärmte er sich in der Sonne.
Aus der Traum, dachte Astor resignierend. Gerade an einen besetzten Platz muß ich kommen, hier wird gefilmt, ein psychologisch wichtiger Moment, alle unsichtbaren Kameras laufen in Großaufnahme. In zwanzig Minuten wird der abgedrehte Streifen bearbeitet, und der Kyberkorrektor löst automatisch Alarm aus, weil eine fremde Person im Bild ist. Damit ist alles zu Ende.
Astor sah zu dem alten Mann hin. Würde der sich wundern, einen Unbekannten zu treffen? Vielleicht stammte der Alte aus einer anderen Zeit? Womöglich spielte die Handlung der Novelle, die hier vor sich ging, vor fünfzig Jahren? Der unauffällige schwarze Anzug des Alten verriet nichts darüber.
Doch der alte Mann sah dem näher kommenden Astor ohne eine Spur von Verwunderung, eher mit einer gewissen Befriedigung entgegen. Er tat dies schon lange, wahrscheinlich von Anfang an (Astor hatte es nur nicht beachtet), blickte mit halbgeschlossenen Augen, wie es sehr müde alte Männer tun.
Astor trat noch näher.
»Setzen Sie sich zu mir«, sagte der Alte und rückte ein Stück auf dem umgestürzten Kiefernstamm zur Seite, obwohl auch so Platz genug war. Astor hob langsam ein Bein über den Stamm; setzte sich rittlings hin, und rötliche, sonnenwarme Rindenplättchen
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