Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dieverse Autoren
Vom Netzwerk:
gewisses unruhvolles Kolorit, das die diffuse Unwirklichkeit des Tages noch unterstrich. Es lag etwas Trauriges und zugleich Freudiges in der Luft. In solchen Augenblicken glaubt man an das Unwahrscheinlichste. Deshalb sagte ich Swetlana, daß ich sie liebe.
     Sie blieb stehen und wandte sich mir zu. Hinter ihr war die akkurate Gestalt des Kapellmeisters zu sehen, der lautlos seinen Taktstock schwang, und ihm widerspruchslos gehorchend, blitzten die Instrumente rhythmisch mit ihren wohlgenährten gelben Flanken. Die Musik war in diesem Moment nicht zu vernehmen – sie verhallte, löste sich in der unbewegten Luft auf –, und ich spürte nur, daß mein Herz wild hämmerte wie vor einem Sprung aus großer Höhe. Kühle Finger legten sich mir auf die Augen, und da hatte ich das Gefühl, ringsum schwebe alles, denn Swetlana küßte mich. Aber als ich die Musik wieder hörte, war Swetlana nicht mehr da.
     Warum hatte sie das getan?
     Wieder und wieder stellte ich mir diese Frage, auf die es keine Antwort gibt. Hartnäckig ging sie jedem Gespräch aus dem Wege. Ich war beleidigt, zog das Ganze ins Lächerliche, hüllte mich in finsteres Schweigen, machte mich über mich selbst und über sie lustig – alles vergebens.
     Jede freie Minute widmete ich mich meinem Apparat.
     Als ich ihr spaßeshalber den Helm aufstülpte und sie in dem abgeschirmten Sessel Platz nehmen ließ, ahnte sie nicht, daß die Mikrolokatoren in die Tiefen ihres Hirns vor drangen, ihr Biofeld erforschten, die Biophysik ihrer Empfindungen und Gefühle studierten und deren Frequenzen und Amplituden maßen und daß das Elektronenhirn analysierte, verglich, kombinierte und die eine Resonanzfrequenz suchte, die in ihrem Emogramm eventuell jene Spitzen erzeugte, die ich bisher vergebens bei ihr gesucht hatte.
     Jetzt liegt die Entscheidung in meiner Hand, aber ich schiebe das Experiment immer wieder auf, weil all meine Zuversicht das Gefühl der Oberflächlichkeit unserer Vorstellungen von der Natur der Liebe nicht wegwischen kann. Hinter den Kurven der Emogramme und den dicken Heften mit Diagrammen tun sich mir solche Tiefen menschlichen Glücks und Leids auf, daß ich jeden Glauben an die Macht von Kybernetik und Elektronik verliere.
     Zugleich spüre ich, daß Swetlana sich von mir entfernt. Es ist ein rein instinktives Gefühl, aber ich glaube ihm. Und trotzdem kann ich mich nicht entschließen.
     Das kleine Plastgehäuse liegt in meiner Hand. Ich brauche den Finger nur ganz leicht zu bewegen, und der Biofeldgenerator beginnt zu arbeiten. Doch ich denke an die unerforschten Geheimnisse des Hasses, der Verachtung, der Angst und der Verzweiflung, ich erinnere mich an die Tausende von Tragödien, an deren Anfang die Liebe stand, und meine Entschlossenheit schwindet dahin. Gewaltsam eingeimpfte Liebe, aufgezwungene Liebe, ungewünschte Liebe – wird sie sich nicht in einem Augenblick in ihr Gegenteil verkehren?
     Doch Swetlana zu verlieren wäre schrecklich für mich. Das kann ich nicht zulassen. Sie verlieren hieße mich selbst verlieren.
     Manchmal muß ich daran denken, daß es jemand gibt, der mich beneidet. Ironie des Schicksals! Ohne alle Apparate merke ich, daß Viktor Burzew Swetlana gleichfalls liebt. Und er ist überzeugt, daß Swetlana meine Liebe erwidert.
     Bald nach ihrer Abreise kam Viktor einmal zu mir ins Labor. Lange humpelte er von einer Ecke in die andere und redete über irgendwelche Belanglosigkeiten. Ich durchschaute ihn, verspürte ihm gegenüber jedoch weder Eifersucht noch Feind seligkeit. Ich weiß nicht, woran das lag: an unserer langen Freundschaft oder an der Hoffnung, die ich immer noch nicht aufgegeben hatte. Er bat rauchen zu dürfen und knetete die Zigarette nervös zwischen den Fingern; dann erkundigte er sich mit sichtlichem Überwindung, ob Swetlana schon geschrieben habe. Ich log, indem ich sagte, sie habe mich angerufen. In Wirklichkeit hatte ich sie angerufen. Er nickte, drückte die nicht zu Ende gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und ging wieder. Ich hielt ihn nicht zurück. Ich sah, daß es Viktor noch schlimmer erging als mir. Aber wie konnte ich ihm helfen?
     Jeden Abend, wenn ich aus dem Laboratorium komme, gehe ich zu demselben Gebäude und stelle mir vor, wie ich in dem hellen Fensterquadrat den vertrauten Schatten er blicke und die trichterförmige Öffnung des Strahlers darauf richte. Ich sehe förmlich vor mir, wie Swetlana zum Telefon stürzt und meine Nummer wählt, nachdem ihr

Weitere Kostenlose Bücher