Das elektronische Glück
nach dem Türgriff. Ediks Gesicht schien eingefallen und gealtert. »Und bring auch Inga dazu.«
»Was soll die Turtelei?« brummte Sergej Iwanow. »Das ist nun mal unsere, Arbeit. Macht bloß nicht so 'n Theater…«
Noch immer drängten sich etwa zehn Leute vor der Testkammer. Unter ihnen stach Anton Semigailo mit seinem mächtigen Körperbau und seiner erstaunlichen Ruhe hervor.
Ich hatte immer den Eindruck, als wäre er speziell geschaffen, um den Spruch vom gesunden Geist im gesunden Körper zu illustrieren. Beim Anblick Antons konnte man sogar von einem außerordentlich gesunden Geist in einem einfach verblüffend gesunden Körper sprechen. Jedenfalls lag sein Glückspegel stets über der mittleren Norm und überstieg oft sogar siebzig Prozent.
Anton drückte mir die Hand und zwinkerte mir zu. Ich hatte mich eigentlich von niemandem verabschieden wollen, aber es ergab sich so. Nach Semigailo reichten mir auch alle anderen die Hände.
»Ihr seid wohl alle verrückt geworden!« ertönte da die Stimme unseres Leiters Karminski. »Das Experiment fangt in zehn Minuten an, und ihr macht ihn noch extra kribbelig! Er muß sich doch erst wieder beruhigen!«
Niemand aber rührte sich von der Stelle. Schließlich kannten alle den Kandidaten der technischen Wissenschaften Vitali Karminski gut genug, um nicht gleich vor Schreck auseinanderzulaufen.
»Wie steht's mit dem Glück?« fragte unser Leiter.
»Wir haben von jeder Farbe hundertachtzig Tüten«, erwiderte Iwanow.
»Reicht das?«
»Ist er vielleicht ein Faß ohne Boden?«
»Na gut«, meinte Karminski zustimmend. »Wenn uns bloß die Apparatur nicht im Stich läßt.«
»Aber nein«, brummte Semigailo seelenruhig. »Alles in bester Ordnung.«
»Diese Ordnung kenne ich. Und wie sieht's mit der Reduzierung des Glücks aus?«
»Schlecht«, erwiderte Grosset.
»Wieso?«
»Sie sollten mich davon entbinden, Vitali Petrowitsch. Schikken Sie mich lieber zu Erdarbeiten an die Wärmestraße. Sie müssen doch sowieso einen schicken. Und ich würde freiwillig gehen.«
»Schuster, bleib bei deinem Leisten«, gab Karminski tiefsinnig von sich. »Alles ist eingeteilt und bestätigt. Daran wird nichts verändert.«
In diesem Augenblick klingelte im Laboratorium das Telefon. Inga nahm den Hörer ab, lauschte und sagte, mir zunickend: »Sascha! Du wirst am Telefon verlangt. Marina möchte mit dir sprechen.«
Ich sah Karminski fragend an.
Der winkte resigniert ab. »Nun sprich schon. Was soll man bloß mit euch machen? Wir verkorksen das Experiment. Weiß Gott , wir verkorksen es noch…«
Ich nahm den Hörer auf.
»Marina?«
»Ich bin's, Sascha. Hörst du? Ich liebe dich!«
Ich schwieg. Viele, viele Jahre hatte ich diese Worte von ihr nicht mehr gehört.
»Hörst du, was ich sage? Sascha!«
»Ich höre.«
»Ich liebe dich!«
»Das glaube ich nicht.«
»Sagst du das wegen des Experiments?«
»Marina, ich weiß es genau.«
»Na gut, dann wagt es!« Es schien ihr die Kehle zuzuschnüren. »Ich werde nur noch Schlechtes von dir denken. Ende.«
Hatte sie Angst bekommen? Oder war ihr etwas klargeworden? Seit zehn Jahren lebten wir zusammen. Seit zehn Jahren… War das viel oder wenig?
»Na, ist jetzt Schluß mit der Gefühlsduselei?« fragte Karminski streng. »Gestattest du, daß wir mit dem Experiment beginnen?«
Ich öffnete die Tür zur Testkammer, überschritt die Schwelle und drehte den Türgriff herum. Nun war die Tür fest verschlossen. Und im selben Augenblick überfiel mich die Stille, eine unangenehme, kalte, prüfende Stille. Ich tat ein paar Schritte, fand mich neben einem Sessel wieder und setzte mich bequem darin zurecht. Wer weiß, wie lange ich darin würde ausharren müssen. Jetzt brauchte ich nur noch den Helm aufzusetzen, doch ich ließ mir Zeit. Mochten sie ruhig warten. Vor Beginn wartet man immer. Ich wollte mich beruhigen und versuchen, an nichts zu denken, statt dessen aber bastelte ich an logischen Hypothesen darüber, warum Marina mich angerufen hatte. Von dem heutigen Experiment wußte sie natürlich, mir aber half das nicht weiter… »Ich liebe dich.« Wollte sie mich trösten, oder… Ich verstand überhaupt nichts mehr!
Auf dem Pult vor dem Sessel leuchtete ein Lämpchen auf. Aha, sie wollen nicht länger warten und bitten mich, mein Telefon anzuschließen. Ich schnipste mit dem Kippschalter.
»Na, was ist?« fragte Sergej Iwanow ärgerlich. »Können wir
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