Das elektronische Glück
nicht einmal Menschen mit hervorragenden musikalischen Fähigkeiten. Jedenfalls vertrat Marina diese Ansicht. Grosset komponierte Symphonien, und sie wurden sogar aufgeführt, wenn auch nur in unserer Stadt. Ich verfaßte symphonische Etüden und Impromptus, die von den Musikwissenschaftlern allerdings nicht anerkannt wurden. Sie behaupteten, es gäbe keine symphonischen Impromptus! Wieso soll es keine geben? Hier sind doch welche! Hören Sie nur zu! Aber nicht einmal Marina glaubte, daß es so etwas geben könne. Da es bisher keine gegeben hat, kann es auch in Zukunft keine geben.
»Und doch werde ich welche komponieren«, sagte ich. »Wenn man Sie nicht hören will, dann läßt man's eben bleiben. Einige Leute verstehen sie trotzdem.«
»Du solltest mit diesem Unsinn aufhören. Es wird längst Zeit, daß du eine Dissertation schreibst.«
Diese verfluchte Dissertation. Brauchte ich sie? Ich gab ehrlich zu, von der Arbeit nicht so gepackt zu sein, daß ich imstande gewesen wäre, einen selbständigen Gedanken oder eine Idee hervorzubringen. Ich war es zufrieden, ein mittelmäßiger Ingenieur zu sein.
»Alle, auch die Mittelmäßigen und Unscheinbaren, schreiben Dissertationen«, suchte Marina mir klarzumachen. »Werden etwa nur Genies Doktoren und Kandidaten?«
»Leider nicht«, erwiderte ich. »Soll ich, ein mittelmäßiger Ingenieur, zu einem mittelmäßigen Kandidaten werden? Nein, daraus wird nichts. Auch ohne mich gibt's genug davon.«
»Aber zu einem Komponisten wirst du?«
»Das weiß ich noch nicht. Wenn mir klar wird, daß nichts draus wird, gebe ich das Komponieren auf.«
»Vielleicht wird dir das erst auf deine alten Tage klar?«
»Dann gebe ich's eben auf meine alten Tage auf. Vorläufig aber interessiert mich die Sache noch…«
Das Experiment dauerte schon eine halbe Stunde.
»Na, was ist, gehen wir zur Persönlichkeit über?« meinte Karminski fragend.
Grosset seufzte tief.
»Ich schalte Marina aus«, sagte Edik mit seltsamer Stimme.
Marina liebt mich nicht! Ein Schlag? Nein. Ich habe es schon früher vermutet, jetzt weiß ich es genau.
Es handelt sich nicht darum, daß sie einen anderen liebt.
Nein. Das zwischen uns ist einfach eine Standardliebe, wie sie Nachbarn und Bekannten gefällt. Wir zeigen uns den Leuten oft zusammen, mit Ausnahme jener Gelegenheiten, bei denen ich das ablehne. Für sie ist das nur eine Erleichterung, und doch sagt sie immer wieder: »Du unterhältst dich nicht mit mir, gehst nicht mit mir ins Kino, schweigst und interessierst dich für nichts. Alle Leute führen ein normales Leben, du aber?«
Worüber soll man sich jedoch unterhalten? Ein Gespräch kommt sowieso nicht zustande. Es kommt nicht zustande! Vielleicht ist es ganz gut, daß ich zu schweigen verstehe?
Liebe ist das nicht. Was aber ist es? Sympathie. Gewohnheit. Alles hat sich eingespielt und abgeschliffen. Man möchte, nichts verändern.
»Ein Prozent. Fast eins«, sagte Edik verwirrt.
»Wieviel genau?« fragte Karminski.
»Mein Gott!« sagte Alla, eine junge Ingenieurin. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt. »Da ist ein Mensch, den seine Frau nicht liebt, er aber fragt: Wieviel Prozent!«
»Kollegen, disputieren wir hier über die Liebe, oder führen wir ein wichtiges, im Themenplan vorgesehenes Experiment durch?« fragte Karminski streng. »Was sind das für Kindereien?«
»Mein Gott! Was geht hier nur vor sich?« ließ Alla sich wieder vernehmen.
»Null Komma neun null eins«, sagte Edik ergrimmt.
»Machst du schon wieder Faxen? Die Skale zeigt doch nur zwei Stellen hinter dem Komma an.«
»Verzeihung. Null Komma neun null.«
»Kollegen! Ich bitte, die Sache ernst zu nehmen.«
»Vielleicht ziehen wir das Tempo ein bißchen an?« schlug Iwanow vor. »Die Zeit vergeht, und wir diskutieren.«
»Eine gute Idee, Sergej«, sagte Karminski. »Zeit ist Geld. Wer ist der nächste auf der Liste? Grosset? Wir schalten Grosset aus.«
Wir kannten uns schon seit fünfzehn Jahren. Er war ein sonderbarer Kerl. Es kam vor, daß er wie ein Wasserfall redete und schrie, wild gestikulierte, sich sein Lockenhaar raufte und etwas zu beweisen suchte. Plötzlich aber sagte er: »Nein, die Argumente reichen nicht aus« und verstummte. Wenn er etwas nicht beweisen konnte, gab er sich auf der Stelle geschlagen. Sogar in Prüfungen. Dann sagte er: »Ich bin mir nicht sicher, geben Sie mir gleich die nächste Frage.«
Was brachte uns
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