Das elektronische Glück
Gästen sitzen, Nataschenka schlafen legen. Und ständig heiter wirken. Auf die Frage »Wo bleibt denn Sergej?« mit einem Scherz antworten.
An seinem Geburtstag lud Sergej alle Kollegen aus unserem Laboratorium, die Lust hatten mitzugehen, in ein georgisches Weingeschäft ein. Wir tranken jeder ein Gläschen, beglückwünschten das Geburtstagskind, gingen ans Flußufer, rauchten und plauderten. Dann kehrten wir wieder ins Geschäft zurück. Sergej lud uns selten zu sich nach Hause ein. Vielleicht genierte er sich. Denn Nina war kein Ingenieur und nicht einmal Techniker.
Nach ein paar solchen Rundgängen trennten wir uns, tüchtig angeheitert, und machten uns auf den Heimweg. Sergej schrieb für unsere Frauen spaßige Entschuldigungszettel, damit sie nicht allzusehr über unsere verspätete Heimkehr schimpften.
Am nächsten Tag fing alles mit der Frage an: »Na, seid ihr gut nach Hause gekommen?« Es endete immer alles gut. Iwanow erzählte, wie Nina ihn mit Milch kuriert und dabei fröhlich gelacht habe.
Meine Marina war von solchen Feiern natürlich nicht sonderlich angetan. Gewöhnlich hob sie verschlafen den Kopf vom Kissen und sagte immer ein und dasselbe Wort: »Gelandet?« Dann drehte sie sich zur Wand und schlief augenblicklich ein.
… In der Küche zogen sie die Vorhänge zu. Irgend jemand legte zum drittenmal dieselbe Platte auf.
»Bist du immer noch hier?« fragte Nina. »Geh nach Hause. Bald fahrt der letzte Bus. Marina ist bestimmt schon in Sorge. Du hast auch kein Mitleid mit ihr.«
»Aha! Das ist gut! Erstens, warum ›auch‹? Hat Sergej etwa kein Mitleid mit dir?«
»Meinetwegen ohne ›auch‹.«
»Gut. Aber warum ›kein Mitleid‹?«
»So nimm mich mit, so nimm mich mit in Städte fern von hier…«,
sang die Platte.
Na schön! Dreißig Prozent Glück sind gar nicht so wenig. Ich werde doch nicht zum Arzt gehen!
»So nimm mich mit, so nimm mich mit in Städte fern von hier…«
»Geh«, sagte Nina. Sie sagte es mit einer solchen Herausforderung, einem solchen Schmerz, einer so verzweifelten Entschlossenheit, daß ich begriff: Jetzt, in diesem Augenblick, hört sie auf, still zu sein, wirft sie die sorgfältig versteckte Ergebenheit gegenüber einem eingebildeten Schicksal, die Angst vor der Möglichkeit ab, ein kleines Stück des vorhandenen Glücks zu verlieren, die Angst vor dem Unbekannten. Von nun an wird sie ihre Probleme selbst lösen und nicht mehr warten, bis Sergej es ihr erlaubt.
Ein stilles, ruhiges, rosafarbenes Glück. Eine nicht allzu langweilige und nicht allzu interessante Arbeit. Bin Mann, der pünktlich Geld nach Hause bringt. Essen kochen. Wäsche waschen. Abends bis zur Betäubung fernsehen. Alles, wie es sich gehört, alles in Maßen. Alles wie bei ordentlichen Leuten…
Und alles auf des Messers Schneide! Zwischen Glück und Leid in einer zähflüssigen Leere, in der man sogar den Gedanken entsetzt von sich weist, daß irgend etwas anders sein könnte, weniger glatt und ruhig und ein für allemal eingerichtet.
Es heißt, man könne die Zukunft nicht vorhersagen. Bei einigen Menschen aber kann man es. Für einen Tag, für ein Jahr, fürs ganze Leben. Eine gerade Linie ohne Höhen und Tiefen.
»Geh!« sagte Nina.
»Nein.«
»Dann nimm mich, nimm mich mit…«
»Nina. Liebst du mich?«
»Was geben dir diese Worte? Sind Worte so wichtig? Muß man denn darüber sprechen? Man sollte es immer, jeden Augenblick, auch ohne Worte spüren…«
Oft ist es so: Einem gefallen die Augen, die Art zu tanzen, die Fähigkeit, in Gesellschaft heiter und scharfsinnig zu sein. Und schon heißt es: »Ich liebe.« Sie aber braucht kein Wort. Warum habe ich immer darauf gewartet, daß sie etwas sagt, mir fast um den Hals fällt, vor Freude weint und lacht? Das rosafarbene Glück sitzt noch immer in mir! Ich habe ihr so viele – gute und böse – Worte gesagt. Aufgeblasen und mitunter sentimental leidend, glaubte ich sie zu verstehen. Und wollte, daß sie es begriff.
»Ich lauf schnell zu dir!« rief ich.
Sie hatte alles begriffen. Schon längst. Wie lange hatte das gedauert?
»Nicht nötig. Ich komme selbst.«
Ich hob den Kopf. In den Fenstern ihrer Wohnung brannte Licht. Die Musik spielte nicht mehr. Man hörte Stimmen. Ihre Freundinnen verabschiedeten sich.
»Weißt du, was uns erwartet?« fragte ich.
»Ja: Trotz allem wird es auch Mittagessen und schmutziges Geschirr, Fußböden und den Fernseher
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