Das Elfenlicht von Arwarah (German Edition)
Horizont und warf seine Strahlen auf die Wasseroberfläche, sodass sie abwechselnd silbern, schwarz, golden oder rot glänzte.
Till war von dem Farbenspiel so fasziniert, dass er an ein Trugbild glaubte, als ihn plötzlich ein wunderschönes, freundliches Gesicht aus dem Wasser heraus anblickte.
„Seid gegrüßt, Herrin!“, hörte er Tibanas Worte und sah, wie sie sich wiederum verneigte. „Und Dank sei dir im Voraus gesagt, dass du unseren Ruf erhörst!“
Jetzt hatte sich die Wasseroberfläche geglättet, sodass sie einem großen Spiegel glich und Till jedes noch so kleine Detail erkennen konnte. Vor Staunen sperrte er Mund und Augen auf, unfähig, auch nur einen Satz zu sagen. „Ich danke für den freundlichen Gruß Tibana, meine treue Dienerin! Und du, Junge! Wie ist dein Name? Es sind viele, viele Sommer vergangen, seit ich zuletzt ein Menschenkind mit der Gabe zu Sehen erblickte!“, sagte die Herrin der Quellen mit tiefer, weicher Stimme. Noch während sie sprach, erzitterte das Bild und tausende regenbogenfarbene Wassertropfen tanzten plötzlich durch die Luft, formierten sich neu, bis die Herrin der Quellen leibhaftig über dem See schwebte. Tills Herz schlug heftig vor Aufregung. War das wirklich möglich oder träumte er noch? Um sicherzugehen, kniff er sich kräftig in den Arm. Kein Zweifel, er war wach und vor seinen Augen hatte er das wundersamste und makelloseste Wesen, das er je zuvor gesehen hatte! Welche Worte könnte man finden, um diese Schönheit zu beschreiben?
Das zarte Oval ihres Gesichtes war umrahmt von üppigem, langem Haar, das in großen Locken bis zur Hüfte reichte, und in dem sich alle Farben des Wassers widerspiegelten. Überhaupt schien alles an ihr fein und durchsichtig wie klares, blau-silbernes Wasser zu sein. Als Zeichen ihrer Königlichkeit trug sie ein Diadem aus Korallen, Muscheln und Bernsteinen auf dem Kopf und auch die Finger und Handgelenke waren reichlich geschmückt. Ihre großen, grünen Augen blickten Till freundlich fragend an.
„Mein … mein Name ist Till“, stotterte er. „Ich … ich bin nur ein Junge.“
„Nicht einfach nur ein Junge! Ich sehe eine Seele, die durch großen Schmerz gehärtet wurde, wie ein Diamant, und die rein wie klares Wasser ist!“
Die wunderbare Erscheinung löste sich auf, und schon wollte Till den Verlust ihres Anblicks bedauern, als ein neues Bild auf der Wasseroberfläche erschien.
„Das ist …, das gibt’s doch nicht!“, stammelte er, „Papa, Mama und ich beim Strandspaziergang und da, letzte Weihnachten, als Papa mir das Boot schenkte, das wir ausbauen wollten.“ Dann erschien sein altes Zimmer vor ihm und die Eltern, die sich vor der verhängnisvollen Fahrt von ihm verabschiedeten. „Nein! Nein!“, rief Till so laut, als könnte er das unabänderliche Ende verhindern. Tränen stiegen in seine Augen, als ein neues Bild erschien. Er saß wohlgemut in Oma Gertrudes Garten, die Sonne schien und der Himmel war weit. An den Bäumen prangten rote Winteräpfel und die Astern auf den Rabatten übertrafen einander an Farbenpracht. Da kamen auf einmal seine Eltern daher. Sie hielten einander bei der Hand und sahen so glücklich aus, dass Till ganz warm ums Herz wurde. „Till!“, sagte die Mutter. „Wir freuen uns, dass es dir hier so gut geht!“
„Und wir sind stolz darauf, wie mutig ihr Alrick gerettet habt!“, fügte Tills Vater hinzu. „Mach dir keine Sorgen um uns, wir sind an diesem wunderbaren Ort, den die Menschen Paradies nennen, glücklich und in Sicherheit. Zeit spielt hier keine Rolle. Lebe ein glückliches Leben, mein Sohn. Wir warten hier auf dich!“
Till streckte den Arm aus, um seine Eltern zu berühren, aber das Bild verschwand. Stattdessen blickte er nun in einen dunklen, bedrückenden Raum, der nichts anderes als ein Verlies sein konnte. Er hatte nur ein einziges, vergittertes Fenster unterhalb der hohen Decke, durch das weder genügend Licht noch Luft hineindringen konnte. Feuchtigkeit und Schimmel hatten landkartenähnliche Gebilde auf die Wände gemalt, sodass Till sich einbildete, Moder und Fäulnis dieses unglückseligen Ortes zu riechen. Im Halbdunkel der Zelle kauerte ein Mann bewegungslos auf einem Lager aus schmutzigem Stroh.
„Es ist König Arindal!“, hörte Till Tibana fassungslos flüstern. „Alle Mächte stehen ihm bei!“
Im selben Augenblick öffnete sich die Kerkertür und ein Lichtstrahl fiel auf den Mann, der sich, obwohl mit Händen und Füßen an die Wand gekettet,
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