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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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nicht ausschlagen. Hector war froh, als sich herausstellte, dass Sophie keineswegs hässlich war, im Gegenteil, sie hatte ein schönes Gesicht, auch wenn ein feuerrotes Muttermal mitten auf der Nase dem Gesamteindruck ein wenig abträglich war. Die Hochzeit wurde schon am nächsten Tag in aller Einfachheit gefeiert.
    Es war Hectors zweite Ehe. Die erste währte nur elf Tage, da seine Frau plötzlich an Blutvergiftung gestorben war.
    Hector und Sophie bekamen drei Kinder und lebten in gut betuchter Sorglosigkeit in einem der exklusiven Viertel der Hauptstadt. Aber Hector kam nie dazu, seiner Sammlung den Talmud des Maimonides hinzuzufügen. Pierre Arditti überlebte beide, seinen Schwiegersohn und seine Tochter, er wurde achtundneunzig Jahre alt.
    Hector war ein komplizierter Mensch. Jeden Morgen stand er um fünf Uhr auf und ging um Mitternacht zu Bett. Er war ständig tätig. Zu Hause war er autoritär und dominant. Oft regte er sich lautstark darüber auf, dass die Kinder ihm im Weg waren. Aber er hatte nichts Böses an sich. Er besaß viel Wärme, wenn er sich einmal die Zeit nahm, von seiner Arbeit und seinem Schreiben aufzusehen. Im gesellschaftlichen Leben war er unsicher und fühlte sich fehl am Platz, hielt den Kopf gesenkt und schlich sich häufig davon. Bei gutem wie bei schlechtem Wetter pflegte er den ersten Montag, den zweiten Dienstag und den dritten Mittwoch jedes Monats ohne den Buchstaben R gegen halb sieben am Abend im Jardin de Luxembourg spazieren zu gehen. Dann trug er die elegantesten Kleider seiner Frau, war stark geschminkt und verbarg seine Glatze unter einer Damenperücke. Er ging erhobenen Hauptes und wollte gesehen werden. Er wusste nicht, warum er das tat. Aber den Gendarmen überzeugte er davon – jedes Mal, wenn er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen wurde –, nur das Andenken seiner Mutter ehren zu wollen. Er wurde immer am selben Abend wieder freigelassen.
    Neben seiner eigentlichen Arbeit war er als Schriftsteller tätig. Er war furchtlos und leidenschaftlich. Zu Diderot, d’Alembert, Voltaire und Montesquieu, den Wegbereitern der Französischen Revolution, knüpfte er persönliche Kontakte.
    Die kleine Gruppe arbeitete unter hartem äußeren Druck, vereint durch ein diffuses, aber im Großen und Ganzen gemeinsames Programm, dessen Kern in einem enthusiastischen Entwicklungsglauben bestand. Alle waren der Ansicht, der von Natur aus gute Mensch werde durch die Laster und Vorurteile der Gesellschaft korrumpiert, könne aber durch Aufklärung veredelt werden. Die Gesellschaft könne reformiert werden. Das geschriebene Wort war das Werkzeug der Aufklärung. Die Schriften der Wegbereiter atmeten Optimismus und Zukunftsglauben. Aber die Macht war auf der Hut. Radikale Autoren wurden verfolgt, zum Schweigen gebracht, außer Landes getrieben, ihre Bücher wurden verbrannt.
    Hector war der einzige Jude, der an der großen
Encyclopédie
(1751–1780), der Bibel der französischen Aufklärung, mitarbeitete. Aber sein Name durfte nicht erscheinen. Als einziger Mitarbeiter war er gezwungen, unter seinen Initialen zu veröffentlichen. Er verabscheute das, konnte aber nichts daran ändern.
    Seine Beiträge waren außergewöhnlich schön und brannten vor Leidenschaft. Sie handelten von religiösen Aufrührern, Utopisten, Ketzern und Häretikern. Er war ein Schriftsteller, für den es Ehrensache war, stets brisante, am liebsten verbotene Themen aufzugreifen. Das lesende Publikum – die wenigen – betrachtete seine Beiträge häufig mit Misstrauen. Aber Hector gab nicht auf, er träumte von einer gerechteren Nachwelt, die sein Werk mit anderen Augen betrachten würde.
    Hector schrieb ein Buch über die Kulturgeschichte der Onanie in Athen. Mit freundlicher Hilfe Voltaires ließ er es Katharina der Großen zu Augen kommen, die mit einem für Despoten ungewöhnlichen Reformwillen kokettierte. Hector hegte die Hoffnung, die Majestät würde ihm ihre Anerkennung aussprechen, was seinem Buch in Europa den Weg ebnen könnte. Aber er erhielt nie eine Antwort aus Sankt Petersburg. Stattdessen hatte Hector mit der Zensur in Paris einen ungleichen Kampf auszutragen. Sechsmal musste er umfassende Änderungen im Text vornehmen, bevor das Buch zum Druck freigegeben wurde. Die erste Auflage war nach zwei Stunden ausverkauft. Der Literat Olivier Mareau, der im Auftrag der Regierung in seinen Arbeiten bürgerliche Tugenden predigte, verfasste schnell eine infame Komödie, in der er die

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