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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Pionierarbeit lächerlich machte. Hector blieb die Antwort nicht schuldig. Er ließ die Originalversion seines Buchs, in der sein illusionsloses Menschenbild und seine offene Ausdrucksweise bewahrt waren, handschriftlich zirkulieren. Es war ein kühner Schachzug. In keinem anderen Text konnten die Menschen so viele französische Synonyme für das Wort »Penis« lernen. Der Skandal war gewaltig. Aristokratie und Pariser Bürgertum tobten und bezeichneten das Buch als unanständiges und schmutziges Werk. Der Polizeiminister Saint-Florentin griff ein und kannte kein Pardon. Um zwölf Uhr in der Nacht, gerade als Hector eingeschlafen war, wurde er von Gendarmen zu einer Unterredung abgeholt. Der Polizeiminister drohte, ihn in die Bastille zu werfen, wo er in Gesellschaft fetter Ratten verrotten könne. Hector verteidigte sich, so gut er konnte, und argumentierte für seine Sache. Am Morgen war er so erschöpft, dass er – obwohl der lebhafte Meinungsaustausch noch immer anhielt – im Sitzen einschlief und in einem Albtraum Horden von Ratten sah, die ihn von allen Seiten angriffen und ihm mit ihren scharfen Zähnen Fleischstücke vom Körper rissen. Er wachte schweißgebadet auf und flehte Saint-Florentin an, alle Exemplare des handgeschriebenen Textes zu beschlagnahmen und zu verbrennen.
DIE BUCHSAMMLUNG
    Unter seinen Zeitgenossen schätzte er Voltaire am höchsten. Er hatte den Philosophen mehrfach zu einem Sabbatmahl zu sich nach Hause eingeladen, obwohl dieser jede Form von Religionsausübung verabscheute und zahlreiche herabsetzende, ja geradezu verächtliche Kommentare über Juden abgegeben hatte.
    Eines Abends erhielt Hector Besuch von Voltaire, der in Begleitung zweier stark parfümierter und elegant gekleideter englischer Herren erschien. Die vier tranken Cidre und hatten sich kaum zu Tisch gesetzt, als Voltaire, dem der Sinn nach Provokation stand, sich zu erkundigen begann, inwieweit es im jüdischen Denken einen Beweis für die Vorstellung gebe, das Böse sei eine notwendige Voraussetzung dafür, dass unsere Welt existieren könne. Die englischen Herren lächelten glücklich; sie hatten sich auf eine religiöse Diskussion auf hohem Niveau eingestellt.
    Die Frage brachte Hector in Verlegenheit. Einige Sekunden lang wirkte er abwesend. Er nahm die Brille ab, putzte sie mit der Serviette und legte sie dann sorgsam vor sich auf den Tisch. Ihm lag etwas auf der Zunge, er hielt jedoch damit zurück. Als folgte er einer plötzlichen Eingebung, stand er vom Tisch auf.
    »Wollen Sie etwas äußerst Ungewöhnliches sehen?«, fragte er. »Es gibt kein Buch, in welcher Sprache und welcher wissenschaftlichen Disziplin auch immer, das solche Kraft und derartige Eigenschaften besitzt und solche Einsichten vermittelt wie dieses. Nein, meine Herren, dieses Buch hat nicht seinesgleichen. Kein Buch kann mit ihm verglichen werden, und es gleicht keinem anderen. Diese Behauptung halte ich aufrecht bis zu meinem Tod.«
    Ohne die Reaktion der Gäste abzuwarten, trat Hector ins Nebenzimmer, eine gigantische Bibliothek, und gelöster als seit langem kletterte er eine ungewöhnlich hohe Leiter hinauf, um sein Kleinod herunterzuholen, Benjamin Spinozas
Elixier der Unsterblichkeit
.
    Die Gäste blieben in der Türöffnung stehen, atmeten den Duft von altem Papier und Staub ein und starrten ins Halbdunkel. Während Hector die Leiter hinaufstieg, erklärte er voller Erregung, dass die Herren gerade das Privileg genössen, Europas größte esoterische Bibliothek zu sehen.
    »Dieser Ort ist ein Heiligtum.« Hectors Stimme klang exaltiert. »Jedes Buch, das Sie hier sehen, ist beseelt. Zwischen diesen Buchdeckeln tun sich ungeahnte Mysterien auf. Hier habe ich im Verlauf von dreißig langen Jahren, ohne jemals mit Geld zu knausern, über dreitausend Kabbalaschriften gesammelt, mehr als vierhundert Originalausgaben des Talmud, Handschriften von Roger Bacon, Paracelsus, Simon dem Wundertäter und Erasmus von Rotterdam.«
    »Aber lieber Hector, wie heißt denn das phantastische Buch, von dem Sie in so warmen Worten sprechen?«, fragte Voltaire.
    »Beruhigen Sie sich, cher Maître«, erwiderte Hector. »Dazu kommen wir gleich. Aber zuerst sollen Sie wissen, dass man in den meisten dieser Bücher in meiner Bibliothek tiefe Geheimnisse finden kann. Aber sie können sich nicht mit den Geheimnissen messen, von denen ich spreche. Bevor ich Ihnen das Buch zeige, möchte ich nur sagen, dass ich mich mit Leib und Seele dem Fürsten des Abgrunds

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