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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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ausliefere, falls Sie in diesem Buch ein einziges unwahres Wort finden. Aber Sie werden in den Feuern der Hölle verbrennen, sodass Sie sich in Krämpfen und Zuckungen winden, Sie werden vom Blitz gelähmt, von Krebsgeschwüren heimgesucht, wie Sodom und Gomorrha in Schwefel und Feuer vergehen und in den Abgrund gestürzt werden, falls Sie nicht schweigen über das, was Sie hier erleben, und verraten, dass Sie das Meisterwerk meines seligen Urgroßvaters Benjamin Spinoza gesehen haben.
    Hector erreichte rasch das Ende der Leiter. Beim Anblick seines Schatzes traten ihm Tränen in die Augen. Er erklärte feierlich, er habe gefunden, was er suche – gab es überhaupt eine Wahrheit auf dieser Welt, dann befand sie sich in diesem Buch. In der nächsten Sekunde, als er sich danach streckte, verlor er die Balance und fiel kopfüber von der Leiter.
    Voltaire und die anderen Gäste vernahmen einen herzzerreißenden Schrei. Die Engländer glaubten, Augenzeugen eines »practical joke« zu sein. Sie brachen in hysterisches Gelächter aus. Voltaire starrte sie ungläubig an. Er begriff sofort, was geschehen war.
    Hector lag leblos auf dem Boden. Eine schwere, in schöner Handschrift geschriebene Talmudausgabe war auf ihn gefallen und hatte seine enorme Nase und seinen Kopf zertrümmert.
    Voltaire beugte sich nieder und hob die Lider Hectors: Aufmerksam wie ein Arzt suchte er nach den Atemzügen auf Hectors Lippen und dem Herzschlag unter seinem Rock. Es war kein Leben mehr in ihm. Hector lag auf dem Fußboden, als hätte er dort immer gelegen. Voltaire erhob sich und stellte stoisch fest, die Weisheit der Juden im Einklang mit der Logik des Zufalls und der dunklen Geschehnisse hätten Hector ums Leben gebracht.
DER VORMUND
    Das Begräbnis fand auf dem Friedhof du Père-Lachaise statt. Obwohl es ein kalter Wintertag war, hatten sich viele Menschen versammelt. Hector hatte unzählige Marquis, Grafen und Barone vor dem drohenden Konkurs bewahrt, und einer noch größeren Zahl von Adligen hatte er beträchtliche Vermögen herbeigezaubert. Sie alle wollten ihm ihre Dankbarkeit erweisen und einen letzten stillen Gruß entbieten. Kein Jude wurde so tief betrauert wie Hector, und keiner war in Paris mit größeren Ehrenbezeugungen begraben worden.
    Doch nur einer der Enzyklopädisten kam, um diesen Mann zu ehren, der sein Leben den Idealen der französischen Aufklärung geweiht hatte. Es war Voltaire.
    Graf de Villeparisis, der alte Bekannte des Philosophen, lehnte seinen Kopf gegen dessen Schulter, als sie dort nebeneinander am Grab standen und mit tränenerfüllten Augen seufzten: »Keiner kann den Tod überlisten. Nicht einmal ein schlauer Advokat wie Spinoza. Es ist wirklich ein Jammer. Ich werde ihn vermissen! Er sollte mich nächste Woche in einer großen Verhandlung vertreten.«
    Voltaire nickte und trat einen Schritt zur Seite.
    Der Rabbiner sprach lange und lobte den Dahingeschiedenen über alle Maßen. Es war offensichtlich, dass er zu seinen zufriedenen Klienten zählte. Die Rede wurde durch kurzes Schluchzen der Kinder und der Ehefrau unterbrochen.
    Zuletzt legten die Aristokraten Gebinde aus Rosen, Tulpen, Nelken, Schwertlilien und Hyazinthen auf das Grab. Voltaire legte einen Stein nieder, denn er kannte den Brauch der Juden, die immer Steine auf Gräber und Gedenkstätten legen, weil Blumen verwelken und sterben, aber Steine überdauern.
    Der Philosoph mochte die Kinder Hectors und wusste, dass die Witwe nicht imstande war, sich ihrer ausreichend anzunehmen. Er trat zu Madame Spinoza und äußerte in einem unbeholfenen Versuch, sie zu trösten, die späterhin geflügelten Worte: »Das Los des Menschen ist schwer, denn die Trauer ist in unser Leben eingewoben. Um uns aufrecht halten zu können, müssen wir lernen zu fallen.«
    Dann erklärte Voltaire der Witwe, während ihr die Tränen aus den Augen strömten, er wolle gern die Verantwortung für die Erziehung der Kinder Avraham, Shoshana und Nicolas übernehmen und ihr Vormund werden.
MADAME SPINOZA
    Hectors Witwe Sophie entstammte einer Kaufmannsfamilie spanischer Herkunft. Ihre Vorväter waren in den 1370er Jahren vor der Inquisition aus Madrid geflohen. Sie gehörten einem der alten jüdischen Geschlechter an, die für sich beanspruchten, von dem Rabbiner Moses Maimonides, auch Rambam genannt, abzustammen. Der gelehrte Kabbalist und Arzt des 12. Jahrhunderts wurde als einer der größten Denker der jüdischen Welt angesehen.
    Die Ardittis betrachteten sich als Juden

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