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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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zu helfen.
    Plötzlich hörte man einen Schrei: »Madre mia, madre mia!« Das Jammern wurde immer lauter. Als Shoshana begriff, dass es die Mutter war, die stöhnte, bekam sie Angst.
    Ein paar Minuten später wurde sie in das Schlafgemach eingelassen. Fremde Frauen gingen im Zimmer umher und lächelten. Der stolze Vater strahlte und zeigte allen das Neugeborene. Beim ersten Anblick gab es ein Detail im Gesicht des Jungen, das alle im Raum verblüffte.
    »Dein Sohn«, sagte Hector zu seiner Ehefrau, die weiß und reglos im Bett lag, »ist ein echter Spinoza. Sieh dir seine unglaublich große Nase an. Er ist so schön. Der vollendetste Junge, den man sich denken kann.«
    Nicolas war das einzige der Geschwister, das musikalische Begabung aufwies. Schon als kleiner Junge erfreute er die Familie mit seiner schönen Singstimme. Im Alter von fünf Jahren, kurz nach dem plötzlichen Tod des Vaters, wurde er in der Klosterschule der Église Saint Sulpice und am Internat für Chorknaben beim Franziskanerkloster Ferney in der Nähe von Voltaires Schloss angenommen.
    Die Mutter war nicht ganz glücklich darüber, dass ihr Sohn, ein jüdischer Junge »de buena famiya«, seine Zeit von der Morgenmesse bis zur Abendandacht in der Kirche zubringen sollte, in Messgewand, roten Mantel und vierkantige schwarze Mütze gekleidet.
    Doch Voltaire beruhigte sie. »Der Junge hat Talent für Musik, und das müssen wir fördern. Wenn er außerdem eine gediegene Ausbildung im christlichen Glauben erhält, ist das nicht das Schlechteste, es kann ihm dazu verhelfen, Zutritt zu den richtigen Kreisen zu erlangen. Madame, Sie wissen doch, wie es hierzulande bestellt ist. Man muss mit den Wölfen heulen. Lebten wir in Indien, würde ich Nicolas empfehlen, einen Kuhschwanz in die Hand zu nehmen. Hier in Frankreich gilt das Kreuz. Wir beide wünschen, dass er in die Aristokratie des Geistes aufgenommen wird, die sich durch Intelligenz, Einsicht und Toleranz auszeichnet. Die persönliche Entwicklung ist das eigentliche Ziel der Kultur.«
    Zu Nicolas sagte Voltaire, ohne über das geringe Alter des Jungen nachzudenken: »Du musst versuchen, mir nachzueifern, nicht deiner Mutter. Es ist zu deinem eigenen Besten. Du musst dein Judentum aufgeben. Es wird dir hier im Leben nützen, du wirst von anderen leichter akzeptiert. Du wirst sehen, eines Tages wirst du ein geachteter Philosoph.«
IM KLOSTER
    Die Klosterschule Saint Sulpice nahm aus Prinzip keine jüdischen Kinder auf. Abt Hugo Montell machte nur äußerst widerwillig eine Ausnahme von der Regel und stellte einen Platz für Nicolas bereit, nachdem er einen Brief von Monseigneur Carlos Fellici erhalten hatte, in dem der Kardinal in Genf den dringenden Wunsch geäußert hatte, Voltaires Schützling in der Klosterschule im wahren christlichen Geist zu erziehen. Keiner wagte es laut zu sagen, aber weder die Lehrer der Schule noch die Eltern der Schüler waren davon angetan, in dem streng katholischen Internat einen jüdischen Jungen zu haben.
    Sein Leben lang erinnerte sich Nicolas an seine von Angst überschattete Ankunft im Kloster, wo er von Voltaires Diener abgeliefert wurde. Furcht befiel ihn, als er aus der Kutsche stieg und das Hauptgebäude mit den wartenden Mönchen sah, die ihn mit strengen Blicken von ihrem Platz am Fenster des Refektoriums aus fixierten. Sie schienen das genaue Gegenteil dessen zu sein, was er – nachdem er Voltaires Beschreibung gehört hatte – an Güte und verständnisvoller Haltung erwartete.
    Während der Begegnung mit dem maßlos dicken und glatzköpfigen Abt Montell, der ihn neugierig und mit eindeutigem Widerwillen betrachtete, saß Nicolas wie festgenagelt auf seinem Stuhl und versuchte, stark und froh auszusehen, während er gleichzeitig mit Sehnsucht an seine Schwester Shoshana dachte, die immer sein Halt im Dasein gewesen war. Er konnte kaum die Tränen zurückhalten, denn er spürte, wie unerwünscht er in der Klosterschule war.
    Am Ende des zweiten Schultages saß Nicolas in einen Tagtraum versunken da und widmete dem Lehrer, der Argusaugen hatte, nicht die gebührende Aufmerksamkeit.
    »Ich bin stolz auf euch«, sagte der Lehrer. »Auf alle – bis auf einen. Nur einer hat sich nichts aus der faszinierenden Geschichte über Jesu Leben gemacht, die ich euch erzählt habe. Nur einer hat die ganze Zeit gezappelt. Nur einer hat auf den Nägeln gekaut. Ein einziger Junge verdirbt das Bild der ganzen Klasse.« Er machte eine Pause, während Nicolas sich fragte, wen

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