Das Elixier der Unsterblichkeit
Heindrichs vorzeitigem Tod noch in tiefer Trauer lebte und ständig verweinte Augen hatte, war es ein besonders schwerer Schlag.
Sie hoffte, Rudolf umstimmen zu können, und begann vorsichtig: »Du musst wissen, dass eine Ehe zwischen zwei Menschen von unterschiedlichem Stand meistens weder glücklich ist noch besonders lange hält, wie gut sie auch am Anfang scheinen mag.«
»Immer langsam, Mutter«, sagte Rudolf und schüttelte den Kopf.
Sie ließ sich indessen nicht aufhalten und fuhr mit immer stärker bebender Stimme fort: »Du setzt deine eigene Stellung und das Ansehen der Familie aufs Spiel. Die Menschen glauben, dass du den Verstand verloren hast, und werden uns wegen dieses gefallenen Frauenzimmers meiden. Unser Name wird beschmutzt. Denk daran, dass du ein Biederstern und mit dem Kaiser verwandt bist. Denk an mich, an uns alle. Siehst du nicht, wie ich leide? Begreifst du nicht, dass dies eine Katastrophe ist? Es ist eine Schande!«
Die Stimme versagte ihr den Dienst und sie sah so verzweifelt aus, als trüge sie die Sorgen der ganzen Welt auf ihren zarten Schultern.
»Leid? Katastrophe? Schande?«, sagte Rudolf. »Ist es das, was mein Glück für dich bedeutet? Arabella ist das Beste, was mir in meinem Leben widerfahren ist.«
Clementina sah ihren Sohn an, als wäre er ein Fremder. Sie schickte eine flehentliche Bitte zu Gott, ein solch entsetzliches Unglück nicht zuzulassen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie verließ schnell das Zimmer und wurde noch lange von Weinen geschüttelt.
Rudolf ließ sich nicht von der Überzeugung abbringen, das einzig Richtige zu tun. Er vertrat vehement die Auffassung, dass man, um ein gerechtes Bild von einem Menschen zu gewinnen, vom Gegenteil dessen ausgehen muss, was der Ruf dieses Menschen besagt. Es war ihm durchaus klar, dass Stammkunden im Salon Rouge Arabella als verdorbene und hemmungslose Frau beschrieben. Deshalb stellte er sich vor, dass ihr Charakter in Wahrheit von Güte, Schlichtheit, Ehrlichkeit und Fürsorglichkeit bestimmt war.
Das Paar wurde vom Erzbischof des Burgenlands, August zu Biederstern, getraut. Den frisch Vermählten zugewandt, hielt er eine poetische Rede, die Familiengeschichte, Bibelexegese, humorvolle Pointen und eine gewisse frivole Eleganz verband. Nahezu fünfhundert Personen nahmen am Hochzeitsmahl auf Schloss Biederhof teil.
Mutter und Schwestern erröteten vor Scham, als sie nach dem Trauungsakt in der Kirche nicht umhinkonnten, mit den verdorbenen Frauen des Salon Rouge ein paar Worte zu wechseln.
Der Erzbischof hingegen wirkte recht aufgeräumt. Außer Hörweite anderer gestand er diesen Frauen, dass er sich gut vorstellen könne, sich mit einer von ihnen für ein Schäferstündchen in die Sakristei zurückzuziehen.
Mit ihren wogenden Hüten und tiefen Ausschnitten, die eine Augenweide für die Herren waren, erregten Arabellas Kolleginnen großes Aufsehen.
EINE STÜRMISCHE EHE
Die Ehe zwischen Rudolf und Arabella wurde nie offiziell aufgelöst. Sie blieben Mann und Frau, bis der Tod sie schied. Aber ihr Zusammenleben war nicht von langer Dauer.
Schon ein paar Monate nach der Hochzeit begann Rudolf, seine Frau ziemlich banal zu finden, jetzt, da er jederzeit mit ihr zusammen sein konnte. Ihre gekünstelte Art und ihr albernes Bedürfnis, Einladungen zu gesellschaftlichen Ereignissen zu erhalten, irritierten ihn. Ebenso die Tatsache, dass sie gewagte Toiletten bestellte, die allenthalben Aufsehen erregten. Rudolf teilte die leicht moralisierende Meinung seiner Mutter, dass Kleider getragen, aber nicht bemerkt werden sollten. Vor allem aber war er unzufrieden damit, dass Arabellas physische Glut so schnell erloschen war und sie immer seltener mit ihm ins Bett gehen wollte.
Um die Leidenschaft in ihrer Beziehung anzufachen, führte er eines Abends eine melodramatische Szene auf und spielte den Enttäuschten. Er beklagte sich, nur wenig über Arabellas früheres Leben im Salon Rouge oder darüber zu wissen, was sie an den Tagen unternahm, an denen er ins Burgenland fahren musste, um geschäftliche Angelegenheiten der Familie Biederstern zu regeln. Er hatte sich vorgestellt, seine Frau würde fürchten, ihn zu verlieren, und hingebungsvoller und zärtlicher werden. Vor allem hoffte er, sie würde ihren sexuellen Appetit und ihre weibliche Zauberkraft zurückerlangen.
Arabella missdeutete indessen seine Absicht. Statt mit bittenden Blicken und bebender Stimme Vergebung für ihre Vergangenheit zu suchen, antwortete
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