Das Elixier der Unsterblichkeit
war von ungewöhnlicher Art. Anton von Wartenburg kam aus einer alten Offiziersfamilie. Sein Vater war General. Sein Onkel war Feldmarschall in Preußen und zeigte Heldenmut im Einsatz gegen Napoleon. Die Familie der Mutter, Hohensteufen, war eine der ältesten Adelsfamilien und erhob Anspruch darauf, von Friedrich I. Barbarossa abzustammen, dem römisch-deutschen Kaiser, der den Dritten Kreuzzug anführte, selbst jedoch nie bis nach Jerusalem kam. Er ertrank im Fluss Saleph in der Türkei am 10. Juni 1190, was – das hat mein Großonkel Sasha und mir erzählt – zufällig derselbe Tag war, an dem Baruch de Espinosa, der Ahnvater der Familie Spinoza, in Lissabon verstarb.
Antons Vater, General von Wartenburg, war groß gewachsen und kräftig gebaut, ein untadelig gekleideter, selbstbewusster Mann, der die Würde eines Offiziers mit der Eleganz eines Aristokraten vereinte. Der General war unzufrieden mit Anton, der ein körperlich zarter und willensschwacher Einzelgänger war. Er wurde häufig von schweren Asthmaanfällen heimgesucht, und es fehlte ihm die Fähigkeit, das praktische Leben zu meistern. Das einzige, wofür er sich interessierte, waren Algebra und Physik. Seine Helden hießen Kepler und Huygens, Kopernikus und Newton. Seine Bibel war Galileo Galileis
Dialog über die zwei Weltsysteme
, und in seinem Besitz befand sich – ein Geschenk eines extravaganten Onkels zu seinem fünfzehnten Geburtstag – der fünfte Rückenwirbel des italienischen Wissenschaftlers. Jemand hatte ihn aus seiner Leiche geschnitten, die in der Basilica di Santa Croce in Florenz begraben lag.
Christen in Frankfurt pflegten fast keinen Umgang mit Juden. Sie lebten in getrennten Straßen, die Kontakte überschritten nur selten die ethnischen und religiösen Grenzen, und sie beschränkten sich auf praktische Fragen.
Dass General von Wartenburg einen Rothschild als anziehend erleben konnte und seine Gesellschaft der von seinesgleichen vorzog, war nicht nur damit zu erklären, dass Amschel äußerst geistvoll und bar jeglichen Snobismus war. Die wichtigste Ursache dafür, dass der Adlige sich im Beisein des reichen Bankiers wohl fühlte und eine gewisse soziale Ächtung wegen des Umgangs mit einem Juden riskierte, war eine andere. Seine wirtschaftliche Situation war verzweifelt. Der wartenburgsche Reichtum, der seit mehreren Jahrhunderten vererbt worden war, hatte sich unter den Händen seiner Ehefrau in Pracht, Luxus und Vergnügungen aufgelöst. Um ihr ausschweifendes Leben zu finanzieren, vor allem das große Landgut, das sie sich gewünscht hatte, war der General gezwungen, Geld zu leihen, und er machte bedenklich hohe Schulden. Alte Schulden wurden durch neue abgelöst, und er wurde immer abhängiger von Amschels großzügigen Krediten. Deshalb erlaubte er auch seinem Sohn, den gleichaltrigen jüdischen Jungen, der in das Haus der Rothschilds eingezogen war, zu treffen und zu sich nach Hause einzuladen.
Die Jungen fanden sofort zueinander. Was sie verband, war weniger ihr Außenseitertum als vielmehr die Tatsache, dass sie beide die Vorstellung hegten, die tiefsten Geheimnisse des Daseins seien ein sorgfältig formuliertes Rätsel, das man mit Hilfe der richtigen Schlüssel lösen könne. Sie suchten diese Schlüssel in der Naturwissenschaft. Die Jagd nach dem Stein der Weisen vereinte sie in tiefer Freundschaft.
Es war Sommer. Eine warme Brise strich über die Wangen der Freunde. Sie saßen im Gras unter einem Apfelbaum in dem schönen Park, der das rothschildsche Haus umgab. Sie diskutierten über Newtons Arbeit über die Schwerkraft, die die Himmelskörper hervorbringen, und ihre Konsequenzen für uns Menschen. Neunzehn Jahre waren sie alt. Ihre Schultern berührten sich zufällig. Plötzlich berührte Anton Guidos Hand und sah ihm lächelnd in die Augen. Ihre Finger flochten sich ineinander. Die Bewegungen wurden langsamer. Alles fühlte sich an wie im Traum. Die Luft war mit einer eigentümlichen Energie aufgeladen. Anton flüsterte etwas in Guidos Ohr, doch der Freund verstand die Worte nicht. Anton zog Guido an sich, aus beider Augen sprach Sehnsucht nach Wärme und Befriedigung. Sie küssten sich. Antons Mund schmeckte süß und seine Haut roch nach Schweiß, was Guido erregte. Er umarmte Anton und ließ seine Hand über sein Haar gleiten. Guidos Atem wurde lauter, fast zischend. Er fühlte seinen Penis immer steifer werden, und es pochte heftig in seinen Adern. Sein Becken wurde von einer Hitze erfüllt, die langsam
Weitere Kostenlose Bücher