Das Elixier der Unsterblichkeit
Schriftstellerin zu treffen. Er erwies sich als ausgezeichneter Gesprächspartner, intelligent und gebildet, und durch die höflichen Redewendungen klang ein Tonfall, der warm und sinnlich war, ohne aufdringlich zu wirken. Er hatte etwas auffallend Liebenswertes an sich, eine natürliche Güte, die Eindruck auf Chiara machte.
Sie war überrascht, als er sie fragte, ob sie sich noch einmal treffen könnten. Fast wäre sie errötet. Da ihre natürliche Zurückhaltung gegenüber Männern von dem Wein, den man ihr an diesem Abend serviert hatte, ein wenig geschwächt war, antwortete sie mit Ja.
Am nächsten Vormittag machten Chiara und Amschel Rothschild einen Spaziergang durch den Stadtgarten. Sie sprachen über das Schreiben und den Tod, über Liebe und Einsamkeit – nicht auf die Weise, wie oberflächlich Bekannte es tun, sondern mit einem Eifer und einer Offenheit, die sie beide überraschte. Er erzählte ohne Umschweife, dass er verheiratet sei, doch das empfinde er nicht als ein Hindernis dafür, mit ihr eine Freundschaft zu entwickeln, die auf gegenseitigem Respekt basiere. Chiara verstand, dass er ein edler Mensch war mit einer offenen Lebenslust und einer eigenwilligen Art, die Dinge zu betrachten, und sie ließ sich darauf ein, mit ihm einen Briefwechsel zu beginnen.
Wie häufig sie sich trafen, was sich zwischen ihnen abspielte, als Chiara sich Amschel hingab, nachdem er sie mit seiner Feurigkeit bestürmt hatte, und wie er seiner Dankbarkeit über dieses Geschenk Ausdruck verlieh – all das war meinem Onkel nicht bekannt. Oder vielleicht wollte er uns, mit Rücksicht auf Sashas und meine Jugend, nicht in die Details ihrer Liebesbeziehung einweihen. Hingegen erzählte er, dass Amschel Chiara schon nach kurzer Zeit bat – obwohl sie nicht der Prototyp der kleinen Freundin war, die sich die Herren des Bürgertums zur damaligen Zeit gerne hielten –, in seine Heimatstadt Frankfurt zu ziehen.
Erst drei Jahre und hundertfünfzig Briefe später gab sie nach. In der Zwischenzeit hatte sie sich oft gefragt, was sie in ihm sah. Die Antwort war immer dieselbe: Amschel ließ ihr alles neu erscheinen und gab dem Leben Farbe. Er vermittelte ihr ein Gefühl der Hoffnung, des Wachstums, der Chancen. Wo er war, war auch ihre Zukunft.
Es erforderte viel pädagogisches Feingefühl, um den Söhnen Gerard und Guido den Umzugsplan nahezubringen. Chiara stellte ihn als spannenden Aufbruch dar und hielt sich lange bei dem schönen Zuhause auf, das sie erwartete. Guidos Interesse erwachte sofort, als sie ihm von dem Physiker Johann Friedrich Benzenberg erzählte, der, unterstützt vom Bankhaus Rothschild, ein astronomisches Observatorium in Frankfurt eingerichtet hatte. Doch Gerard, der ältere Sohn, betrachtete sie misstrauisch. Seine Zweifel waren groß, bis sie ihm schließlich von den guten Schulen berichtete, die er besuchen könnte, denn Amschel würde das Schulgeld bezahlen. Chiara wusste, dass es Gerards Wunsch war, ein fundiertes Studium der Jurisprudenz zu absolvieren, doch sie hatte nicht genug Geld für Schulen und Universitäten.
Chiara hatte den Eindruck, als würde Amschel seine Ehefrau eher klein halten und sie nicht an Orte mitnehmen, die sie beide besucht hatten. Doch sie kannte Angela und ihre Ansprüche nicht. Vielleicht war sie zufrieden mit ihrem Los.
Amschel versicherte Chiara, seine Frau – eigentlich war sie seine Cousine, und die Ehe war nicht aus Liebe geschlossen worden, sondern als ein Arrangement – habe keine Einwände dagegen, dass sie und die Jungen in ihr geräumiges Haus einzögen, statt in einer Wohnung zu leben. Er behauptete sogar, Angela begrüße es, wenn er und seine Freundin im Zeichen der Freiheit die Liebe genössen. Dennoch empfand Chiara eine gewisse Unruhe, die sich jedoch als unbegründet herausstellen sollte.
Angela war einige Jahre älter als Amschel. Sie hatte die in mondänen Kreisen ungewöhnliche Eigenheit, laut zu sprechen und gern ein Gespräch mit wildfremden Menschen zu beginnen. Es war etwas befreiend Leichtes in ihrem Wesen, das selbst ein verhärtetes Herz erweichen konnte. Sie liebte Kinder, doch hatte sie selbst keine bekommen können. Vielleicht war sie deshalb so begeistert darüber, dass Jungen ins Haus kommen sollten, und dass es zwei waren, verdoppelte ihre Freude. Sie verbrachte jeden Nachmittag damit, ihnen Deutsch beizubringen, und schon nach wenigen Wochen umfing sie Gerard und Guido mit so großer Liebe, als wären sie ihre eigenen Söhne.
Angela
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