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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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durch das Rückenmark in den Kopf stieg. Seine Hände bewegten sich frei über den Körper des Freundes und erforschten ihn. Eine tiefe Dankbarkeit erfüllte ihn. Nie zuvor hatte er etwas Ähnliches erlebt. Er liebte Anton, weil er ein Mann war. Plötzlich erkannte er, dass sie beide, die das Schicksal zusammengeführt hatte, dabei waren, in die tiefsten und dunkelsten Bereiche der Leidenschaft vorzudringen und zu Sündern zu werden. Die schonungslose und unbarmherzige Strafe für ihre Handlungen wäre, für immer aus dem Paradies vertrieben zu werden. Guido war bereit, die Strafe zu erdulden, denn er wusste, dass er sich die neu entdeckte Lust nicht versagen würde.
DER SKANDAL
    Das Glück der Freunde währte nicht lange. Ihre Liebe und der grenzenlose Genuss, den sie in den Armen des anderen erlebten, war dem wachsamen Blick der treuen Dienerschaft nicht entgangen. Sie berichtete dem General davon, der eines Tages Anton und Guido auf frischer Tat im Bett ertappte. Es folgte eine albtraumhafte Szene, die allem, was in ihrem jungen Leben schön war, ein Ende setzte. Der General kochte vor Wut und brüllte, sein Sohn sei ein perverses Schwein. Er drohte, ihn mit seinem Schwert in kleine Stücke zu hacken, da er die jahrhundertealte Devise der Familie »semper purus« besudelt habe. Dann versetzte er Guido eine schallende Ohrfeige, rang sich einige Kraftausdrücke ab, die keine Wiederholung vertragen, und forderte ihn zum Duell, da die Ehre der Familie Wartenburg wiederhergestellt werden müsse. Damit brach der General den Ehrenkodex, der beim Militär galt: »Jeder Sohn einer jüdischen Mutter ist als ehrlos zu betrachten. Es ist deshalb nicht erlaubt, sich mit einem solchen Manne zu duellieren.«
    Als Chiara von dem Skandal erfuhr, war sie außer sich, während Amschel eine verblüffende Geistesruhe bewahrte. Sie bat ihn, augenblicklich von Wartenburg gegenüber eine vorbehaltlose Entschuldigung abzugeben und zu versuchen, diesen dazu zu bewegen, von dem Duell Abstand zu nehmen. Sie verabscheute diese barbarische Sitte aus tiefstem Herzen, aber sie wusste auch, dass Guido, der noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hatte, dem General unterliegen würde, der buchstäblich mit dem Säbel in der Hand aufgewachsen war. Sie erinnerte sich, dass Amschel ein halbes Jahr zuvor dem General einen großen Kredit eingeräumt hatte, der bald fällig würde, und schlug ihm vor zu versuchen, die Affäre zu vertuschen, indem er von Wartenburg anbot, ihm die Rückzahlung zu erlassen.
    In Chiaras Arbeitszimmer prangte ein Schreibtisch mit Schubladen, Fächern, Nischen und heimlichen Spalten. Dieses beeindruckende Monument aus dunklem Holz mit hellen Intarsien erinnerte an eine leere Theaterbühne mit Falltüren, Drehmechanismus und ausgeklügelten geheimen Räumen. Chiara fühlte sich eigentümlich angezogen von Unordnung. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich alle möglichen Dinge: Briefe, Dokumente, Lexika, Stifte, Teetassen, Weingläser, Scheren, Münzen, Kleidungsstücke. Doch eines Tages räumte sie allen Krimskrams weg und stellte eine große Korbflasche mitten auf die Schreibplatte. Bei jedem Blick darauf schnürte sich ihr Herz zusammen. Un fiasco. Das Symbol für ihr Scheitern mit ihrem jüngeren Sohn Guido.
    Guidos Wangen brannten, sein Blick war gesenkt. Ein kleiner junger Mann von neunzehn Jahren, dünn, mit sensiblen Zügen und einer ungewöhnlich großen Nase. Die dunklen schwarzen Augen strahlten in ruhigen Momenten Intelligenz und Wärme aus – doch jetzt sprachen aus ihnen Trauer und Schmerz. Schon seit seiner frühesten Kindheit hatte sein nachdenkliches Gesicht seiner Mutter das Gefühl eingegeben, dass er nicht lange leben oder dass er eine Last für sie werden würde.
    »Guido, antworte mir ehrlich«, sagte Chiara. »Ist es wahr? Haben du und Anton …?«
    »Ja, Mutter«, unterbrach er sie und fuhr entschlossen fort: »Wir lieben uns.«
    »Ihr liebt euch«, wiederholte Chiara. »Du hast unser Leben ruiniert. Ohne moralische Skrupel oder Rücksicht auf deine Nächsten hast du ein hässliches Verbrechen begangen. Wenn dein Vater von deinem schändlichen Verhalten wüsste, er würde sich im Grabe umdrehen.«
    »Aber Mutter, wir lieben uns.«
    »Du weißt nicht, was Liebe ist«, behauptete Chiara und sah zur Decke.
    Beide schwiegen. Eine Atmosphäre von ungewöhnlicher Spannung breitete sich im Raum aus. Chiara nahm es nicht so schwer, dass Guido ein ungeahntes Laster besaß. Aber dass er es vor ihr verheimlicht

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