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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Menschen zu verbergen, die nicht reif sind, sie zu verstehen. Wer aber eingeweiht und imstande ist, den Kode zu knacken, findet die bestgehüteten Geheimnisse und Wahrheiten, die von Engeln seit Anbeginn des Universums in dieser Lehre niedergelegt worden sind. Der wahre Kabbalist findet immer, was er sucht.«
    Sasha und ich fragten uns oft, ob mein Großonkel zur Schar der Eingeweihten gehörte. Wir wollten von ihm wissen, ob er selbst die Kabbala praktizierte. Aber auf Fragen, die ihn selbst berührten, erhielten wir nie eine Antwort, denn er war bemerkenswert zurückhaltend, was Details aus seinem eigenen Leben betraf.
    Wir fürchteten immer, dass Großmutter hereinplatzen und meinen Großonkel brüsk unterbrechen könnte, wenn er uns einen inspirierenden Einblick in die Entstehung der Kabbala gab, wobei er an übernatürlichen und phantastischen Elementen nicht sparte. Seine Erzählung war von dichterischer Phantasie beflügelt, und wir lauschten ihm atemlos, doch ohne, so wird mir jetzt im Nachhinein klar, besonders viel zu verstehen. Aber wir waren noch klein, und manchmal denke ich, dass es ihm mehr darum ging, Großmutter zu reizen, als uns aufzuklären.
    »Nach der Geburt des Kosmos«, erklärte er, »lehrte der Schöpfer die Engel eine geheime Weisheit, die wir heute Kabbala nennen. Nach dem Sündenfall beschlossen die Engel, den Menschen die Geheimnisse der Kabbala weiterzugeben, damit sie die Verbindung zum Paradies wiederfänden.«
    »Was ist das Paradies?«, unterbrach Sasha, dem es offenbar an Talent mangelte, jüdische Mystik zu begreifen.
    »Für die Kabbalisten ist es die göttliche Energie auf Erden«, fuhr mein Großonkel fort. »Aber seltsamerweise wollte niemand diese Weisheit annehmen. Die Menschen waren immer schon mehr an weltlichen Dingen interessiert als an göttlichen Wahrheiten. Deshalb mussten sich die Engel gedulden, bis auf der Bühne der Geschichte jemand auftauchte, dessen menschliche Reife groß genug war für die Wahrheit. Dieser Mann war Abraham. Der Schöpfer schloss einen Bund mit Abraham und versprach ihm, dass seine Nachkommen Zugang zum Geheimnis des Universums erhalten würden.«
    »Was ist das?«, fragte mein Bruder.
    »Das Geheimnis des Universums«, wiederholte mein Großonkel und fügte flüsternd, wie um den Ernst des Augenblicks zu unterstreichen, hinzu: »Das ist die Sphärenmusik, die Ur-Vibration, der geheime Name, der Schlüssel zu aller Weisheit und Energie. Es wird Tetragramm genannt und besteht aus den vier hebräischen Buchstaben J, H, W, H. Es wird Jahweh oder Jawah oder Jehova ausgesprochen. Versucht einmal, es selbst laut zu sagen.«
    »Heißt Gott so?«, fragte Sasha.
    »Nein, die Kabbalisten nennen Gott En-Sof, der ohne Ende.«
    »Aber Großonkel, ein andermal hast du doch gesagt, Gott wäre der ohne Anfang«, wandte ich ein.
    »Der Allmächtige hat keinen Namen. Nur wir Menschen haben das Bedürfnis, Wörter zu finden, die das Göttliche bezeichnen. Euer Vorvater Moishe de Espinosa, der große Kabbalist, der auch den Koran studierte, zitierte oft ein arabisches Sprichwort: ›Gott hat neunundneunzig Namen, und nur das Kamel kennt den hundertsten.‹«
    Ich verstand nichts. En-Sof? Sphärenmusik? Eine Urkraft, die diese Unendlichkeit von Himmelskörpern in der kosmischen Leere an ihrem Platz festhält? Die ganze Welt wird von dem kontrolliert, der die vier Buchstaben richtig auszusprechen vermag? Das Kamel, das Gottes Namen kennt? Es erschien mir unbegreiflich. Aber was wusste ich schon? Ich dachte an die Gelehrtheit und den Scharfsinn meines Großonkels, an sein Gehirn, das so viele Mysterien in sich barg. Ich versuchte, den heiligen Namen auszusprechen. Es sollte sich als fruchtlos erweisen. Meine Aussprache war grässlich. Das Wort lag mir nicht gut im Mund. Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas Wesentliches entging.
    Mein Großonkel legte mir sanft, aber bestimmt die Hand auf die Schulter und versicherte mir, dass ich mit ein wenig Übung Herr des Universums werden könne. Ich war geschmeichelt. Aber eigentlich hatte ich keine Lust, eine derart schwere Verantwortung auf mich zu nehmen. Lieber wollte ich das Dunkel der Geschichte erforschen, in geheime Bibliotheken eindringen und verborgene Schätze finden. Am liebsten aber wollte ich den Erzählungen meines Großonkels über unsere Vorfahren lauschen.
EIN VORBILDLICHER SULTAN
    Es wird Zeit, ins Granada des 13. Jahrhunderts zurückzukehren. Doch bevor ich mich in die Geschichte unserer Familie vertiefe,

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