Das Elixier der Unsterblichkeit
Füßen und benetzte sie mit ihren Tränen. Sie gestand ihm, dass sie sich in den jungen Mann verliebt habe und ihm ihr Herz schenken wolle.
Der Rabbi erklärte, nachdem er sich zunächst für seine Offenheit entschuldigt hatte, er könne Chaim nie Vertrauen schenken, denn eine fehlende Übereinstimmung zwischen seinem Blick und seinen Worten mache einen unehrlichen Eindruck, und er könne seine Tochter keinem unwahrhaftigen Menschen zur Frau geben. Dies würde unausweichlich Unheil nach sich ziehen. Rebecca, die keine Zweifel hegte, was den Charakter des stattlichen jüdischen Arztes anbetraf, entgegnete, dass es nicht darum ginge, wem der Vater vertrauen könne, sondern wen sie liebe. Der Rabbi murmelte ein Gebet auf Hebräisch, wobei er sich mit dem Oberkörper vor und zurück wiegte, bevor er seine Zustimmung gab. Mit einem Lächeln, das sich über ihr ganzes Gesicht ausbreitete, drückte Rebecca ihre unendliche Dankbarkeit aus und küsste den Vater zärtlich auf die Wange.
Das Paar wurde von Rabbi Orabuena getraut. Unter den Gästen waren auch der Sultan und Ibn Hassan. Dagegen war niemand von Chaims Seite anwesend, denn er hatte die Tür zu seiner Vergangenheit geschlossen und die Familie weder von seiner Heirat noch von seinem Entschluss unterrichtet, nie mehr nach Lissabon zurückzukehren. Diese Stadt sei im Halbschlaf versunken und könne sich mit Granada nicht messen.
Chaim schloss seine Hände wie in einem gemeinsamen Gebet um die Rebeccas und hielt sie fest, während er sich vorbeugte und sie auf den Mund küsste. Sie wagte vor den Hochzeitsgästen nicht, seinen Kuss zu erwidern, sondern schloss die Augen und seufzte glücklich.
DIE GEBURT DES KABBALISTEN
Der entlegene Vorfahr, den wir den Kabbalisten nannten, kam genau um Mitternacht am Freitag, dem 1. Januar des Jahres 1300, in Granada zur Welt. Der Familienlegende zufolge wurde er von einer Mutter geboren, deren Verwandte dreihundert Jahre in Córdoba gelebt hatten und Rabbiner gewesen waren; der Vater war ein Arzt aus einer berühmten jüdischen Arztfamilie in Lissabon. Das Haus, in dem die Geburt sich zutrug, lag in der Alhambra, der blühenden Burg der Nasriden-Dynastie für mehr als zweihundertfünfzig Jahre bis zum Jahr 1492.
Erfahrene maurische Frauenhände brachten in dieser Nacht mit vereinten Kräften Ordnung ins Chaos. Blutige Laken wurden zusammengerollt und mit der Nachgeburt in der Küche ins offene Feuer geworfen. Eine Wanne wurde mit Wasser gefüllt, und eine Dienstmagd tauchte die Hand hinein, um zu fühlen, ob das Wasser nicht zu heiß war. Das Neugeborene schrie aus Leibeskräften, als es gewaschen wurde. Es hatte dunkle Augen, und seine Stirn war von dickem schwarzem Haar bedeckt.
Der Vater, Chaim de Espinosa, trat verschüchtert ins Schlafzimmer, und als man das Kind in die Höhe hielt, konnte er feststellen, dass es ein Junge war.
»Ich danke Dir, guter Gott,« sagte Chaim und wirkte erleichtert, »dass mir der Fluch erspart geblieben ist, der so lange über meinem Vater lag. Ich danke Dir, guter Gott, dass mein Erstgeborenes ein Sohn ist.«
Er fiel vor seiner Ehefrau Rebecca auf die Knie, nahm behutsam ihre Hand und dankte ihr, dass sie ihm einen Jungen geschenkt hatte. Sie war ermattet und wandte ihr blasses Gesicht ab. Dann stand Chaim auf, um dem Leibarzt Faraj Ibn Hassan, der die schwere Geburt beaufsichtigt hatte, zu danken.
Obwohl Mitternacht vorbei war, wurde Muhammed II. hinzugerufen. Der Sultan hätte kaum einen Grund gehabt, ein neugeborenes Kind anzusehen – vor allem nicht nach Mitternacht, als alle anderen bereits schliefen –, wenn die Geburt des Kindes nicht als ein wichtiges Ereignis betrachtet worden wäre, ja als ein Zeichen des Himmels. Denn der Junge war exakt im gleichen Augenblick auf die Welt gekommen wie das neue Jahrhundert, was die Vorhersagen der Hofastrologen bestätigte: In Kürze würde etwas Bedeutungsschweres, nahezu Umwälzendes im maurischen Reich geschehen, welches infolgedessen tiefgreifende Veränderungen erleben würde.
Muhammed II. lag viel daran, die Kluft, die zu jener Zeit zwischen einem Sultan und seinen Untertanen bestand, zu überbrücken. Er behandelte seinen maurischen Leibarzt Ibn Hassan und dessen jüdischen Assistenten Chaim de Espinosa weniger als Untergebene denn als Freunde. Muhammeds II. Fürsorglichkeit für andere war stark entwickelt.
»Chaim«, sagte der Sultan, der sich stets wie ein Poet zu äußern pflegte, »dein Sohn wird dir ein reiches Maß an Vaterstolz
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