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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Witwe des Sultans. Beider Augen glühten vor Hass.
    Obwohl Chaim stark benommen und schmerzgepeinigt war, hatte er noch immer so viel Energie in sich, dass er sich erklären wollte. Aber er wurde von einem Hustenanfall überwältigt, der seinen ganzen Körper schüttelte. Er erbrach Blut. Die Menschen in dem Verlies erstarrten. Der Folterknecht trat zu ihm und hielt seinen Kopf, bis der Anfall vorüber war. Chaim atmete tief, die Augen voller Tränen. Seine Lippen bewegten sich langsam. Aller Blicke richteten sich auf seinen Mund. Doch so sehr er sich anstrengte, konnte er kein Wort hervorbringen. Schnell wurde ihm das wahre Elend seiner Lage bewusst – dass seine Versuche, etwas zu sagen, vergeblich und sinnlos waren. Er würde nie eine Enthüllung über Muhammed herausbringen können.
    Im Hintergrund war das Jaulen von Jagdhunden zu hören. Ein schlechtes Omen, dachte Chaim.
    »Wenn ein Mann so tief sinkt, dass er seinen Wohltäter und Herrscher verrät und ermordet, gibt es nur eine Strafe: den Tod. Obwohl du die erbärmlichste aller Kreaturen in Granada bist, will ich dir Barmherzigkeit erweisen, denn ich bin ein Sultan mit einem guten Herzen. Deshalb befreie ich dich von einem langsamen und qualvollen Tod«, sagte Muhammed.
    Er schlitzte mit seinem Dolch Chaims Bauch auf und öffnete den Körper. Mit den Händen grub er nach dem Herzen, riss es heraus und warf das noch pulsierende Organ den Hunden vor.
DIE GRAUSAME WAHRHEIT
    Die Geschichte von Chaims Verrat jagte mir in meiner Kindheit den allergrößten Schrecken ein. Wenn ich daran dachte, wurde ich von Trauer überwältigt, bekam Asthmaanfälle und konnte nicht einschlafen; im nächtlichen Dunkel quälten mich grauenvolle Gedanken, und nicht selten weinte ich bis zum frühen Morgen. Die Trauer und die quälenden Gedanken ließen mich tagelang nicht los. Nichts brachte mir Trost oder Linderung, denn ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass das Blut des Verräters auch in meinen Adern floss.
    Mein Großonkel war unser Verbindungsglied zur Familiengeschichte. Mit seiner Stimme flüsterte mir das Schicksal zu, dass ich zu einem verräterischen Lügner geboren war. Viele Male hatte er Sasha und mir erzählt, dass sich eine übermäßig große Nase in der Familie Spinoza vererbte und bei einem Mitglied in jeder Generation zeigte. Die Kinder, die mit dieser gigantischen Nase geboren wurden, waren in allem, was sie sich vornahmen, erfolgreich und vom Glück begünstigt. Die Nase brachte ihren Besitzern Glück, auch wenn alle seltsamerweise einen tragischen Tod erlitten. Anderseits vererbte sich auch die Lüge in der Familie Spinoza, wie in einem unergründlichen Balanceakt der Natur, und offenbarte sich ebenfalls bei einem Mitglied in jeder Generation. Die Kinder, die mit dieser merkwürdigen Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen, geboren wurden, waren immer sehr einsam, denn sie verrieten die anderen Menschen und alles misslang ihnen. Die Lüge wirkte wie ein Fluch.
    Mein Großonkel sagte es nie geradeheraus. Aber ich wusste es. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte es sehen. Mein Zwillingsbruder Sasha hatte eine gigantische Nase.
EINE SCHACHPARTIE
    Seit dem Tod des Sultans, der noch keine vierundzwanzig Stunden zurücklag, wandelte Muhammed in einem Freudenrausch. Er war glücklich, endlich über Granada herrschen zu können, und meinte wie geschaffen zu sein für diese Aufgabe. Es beflügelte ihn zu denken, dass er von allen gefürchtet wurde, dass die Menschen sich seinem Willen beugten und untertänig seinen geringsten Wink befolgten. Er saß auf dem Thron, Nedjmaa an seiner Seite, umgeben von den alten Ratgebern seines Vaters, und verspürte ein starkes Bedürfnis, seine Macht zu demonstrieren. Vor allem lag ihm daran zu verhindern, dass am Hof Spekulationen über den plötzlichen Tod seines Vaters die Runde machten. Er befahl zwei Wächtern, Rebecca, die Ehefrau des hingerichteten jüdischen Leibarztes zu holen, denn er wollte – wie er es ausdrückte – rasch Gerechtigkeit walten lassen. Sie sollte als mitschuldig am Tod des Sultans zur Rechenschaft gezogen werden.
    Muhammed erkannte Rebecca kaum wieder, obwohl er sie mehrmals gesehen hatte und stets von ihrem schönen Gesicht überrascht gewesen war. Jetzt sah sie anders aus, kleiner und blasser, als er sie in Erinnerung hatte, nicht wie eine Schönheit. Er wollte etwas sagen, verlor jedoch den Faden, als er ihren runden Bauch erblickte, denn er hatte vergessen, dass sie ein Kind erwartete. Muhammed

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