Das Elixier der Unsterblichkeit
Anspruchslosigkeit seines jüngsten Sohnes eine imponierende Belesenheit verbarg.
DER BESCHLUSS
Gegen Mitternacht ging der Sultan in seiner Bibliothek auf und ab und sprach laut zu sich selbst: »Nasir ist nie den Verirrungen der Jugend zum Opfer gefallen. Er ist ruhig, ernst, ein wenig abwartend, aber nicht kalt, im Gegenteil, häufig sehr warmherzig. Sein Temperament unterscheidet sich von dem Muhammeds. Muhammed scheint alles und alle zu verabscheuen. Von Kindesbeinen an hat er Faraj gehasst. Er wird von unbeherrschter Leidenschaft getrieben und ist ständig willens, sich unüberlegt und voller Ingrimm in den Kampf zu stürzen. Nasir tut das nie – er ist friedlich und respektvoll, er akzeptiert Menschen, wie sie sind. Außerdem ist er bescheiden und findet keinen Gefallen an hohen Titeln.«
Er zog das Fazit: »Urteilsvermögen und Klugheit kommen bei Nasir zusammen. Er ist der richtige Mann, eines Tages Granada zu regieren.«
Muhammed II. beschloss, seine Entscheidung noch für sich zu behalten. Er war mit dem Ergebnis seiner Überlegungen hochzufrieden. Danach ging er zu Bett und schlief sogleich ein.
An einem sternenklaren Abend ein paar Monate später lag Muhammed neben Nedjmaa im Bett und beklagte sich bitter über seinen Vater. »Tue ich nicht jeden Tag meine Pflicht und verteidige Granadas Interessen? Kümmere ich mich nicht um meinen Vater, wo es nur geht? Zum Dank klärt er mich in verdeckten Worten, sooft er kann, darüber auf, dass ich ein roher und einfältiger Mensch sei und eine Plage für meine Umgebung, wenn ich Granada regierte. Er erzählt mir von der miserablen Verwaltung in dem entlegenen Kalifat Bagdad. Er hofft, dass ich mich mit all diesen lausigen Herrschern vergleiche, von denen er so abschätzig spricht, damit ich herausfinde, dass ich selbst genauso bin. Aber ich denke gar nicht daran, das zu tun, so sehr mein schlauer Vater es auch möchte. Bin ich eine rohe und einfältige Person? Bin ich das wirklich? Bin ich eine Plage für meine Umgebung?«
Nedjmaa schüttelte den Kopf, sie sagte noch immer kein Wort. Eine eigentümliche Verstimmung bemächtigte sich Muhammeds, ein Unlustgefühl, das aber rasch in Zorn und Selbstmitleid umschlug.
»Du musst zeigen, dass du ein kraftvoller Mann bist, ein Mann der Tat, dass du alle Hindernisse überwindest, die dein Vater dir in den Weg legt. Zeig, dass nichts dich davon abhalten kann, dein Ziel zu erreichen«, sagte sie und sah ihn herausfordernd an.
»Was verlangst du von mir? Es schaudert mich, wenn ich mir vorstelle, worauf du hinauswillst. Nedjmaa, wozu willst du mich anstiften? Das ist doch Wahnsinn. Du begreifst doch wohl, dass ich nicht meinen eigenen Vater töten kann.«
»Wie viele haben nicht schon in diese Frucht gebissen?«
»Wer bin ich, mich gegen meinen Vater aufzulehnen, gegen die Obrigkeit, die mir von Allah dem Allmächtigen gegeben wurde? Das ist Frevel!«
»Nicht argumentieren. Nur handeln. Es gibt kein Zurück. Wer seinen Bruder getötet hat, für den gibt es keine Umkehr. Dein Vater, der Sultan, steht für Altern und Verfall, er gehört einer Welt an, die zum Untergang verdammt ist. Granada braucht einen kraftvollen und unerbittlich strengen Mann. Das Volk sehnt sich nicht nach Ideen und Milde, sondern nach einer Strenge, die züchtigt und reinigt. Ich sehe jetzt alles ganz deutlich vor mir.«
»Du treibst mich zum Wahnsinn mit deinem Gerede, Nedjmaa. Ich habe Angst und ein ungutes Gefühl. Vielleicht habe ich noch einen Rest von Schwäche in mir. Ich kann meinem Vater nicht den Kopf abschlagen …«
»Du musst dich von diesen sinnlosen Gewissensqualen frei machen. Nicht du sollst deinen Vater umbringen. Du sollst es den Juden tun lassen. Mach Chaim de Espinosa zu deinem Werkzeug, zu deiner gehorsamen Hand. Versprich ihm, dass er dein Leibarzt wird, wenn er den Sultan vergiftet.«
»Aber wenn er sich weigert? Du weißt, dass er den Sultan liebt wie einen Vater.«
»Erkläre ihm, wie gefährlich es für uns alle wäre, wenn ein alternder Sultan weiter über Granada herrscht. Lass dem Juden keine Ruhe, setze ihm hart zu, sage ihm, dass er entweder für dich oder gegen dich ist, dass derjenige, der nicht dein Freund ist, dein Feind ist, dass es sich jetzt zu entscheiden gilt, dass er eine Wahl treffen muss, eine Wahl! Bedrohe seine Familie! Er ist verwundbar. Er soll seinen kleinen Sohn über alles lieben, und seine Frau erwartet wieder ein Kind.«
Muhammed versank in Schweigen, dem Anschein nach erschöpft. Nedjmaa
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