Das Elixier der Unsterblichkeit
er es anstellen sollte, Köstlichkeiten auf den Tisch zu bringen. Dennoch zeigte er ein Lächeln der Freude, denn für ihn war es selbstverständlich, dass sein Vater wusste, was er tat, und dass es einem Sohn nicht anstand, den ausdrücklichen Willen und das Urteil des Vaters in Frage zu stellen.
Nasir schloss sich drei Tage in seinem Zimmer ein, um verschiedene Bücher zu studieren und nachzudenken. Dann rief er seine Mutter zu sich und bat sie, ihm zu helfen.
»Ich will dir etwas Merkwürdiges anvertrauen«, sagte sie. »Als Christin bin ich im Glauben deines Vaters nicht besonders bewandert. Aber in der letzten Zeit, nicht oft, nur drei- oder viermal, sind mir einige Zeilen aus dem Koran in den Kopf gekommen. Vielleicht sind es genau diese Worte, die du hören musst: ›Glücklich sind die Rechtgläubigen, die demütig sind in ihren Gebeten, und die sich abwenden von eitlem Geschwätz.‹«
»Eitlem Geschwätz«, wiederholte Nasir nachdenklich und hatte eine Idee.
Am ersten Abend servierte der jüngste Sohn seinem Vater gekochte Zunge in dünnen Scheiben. Nichts anderes lag auf dem Teller.
Muhammed II. betrachtete schweigend das Essen. Aber er verstand nicht. »Erweise mir die Ehre, Nasir, mir zu erklären, was dies ist«, sagte er.
»Dies ist eine delikate Zunge, Vater«, antwortete der jüngste Sohn. »Ihr habt mich gebeten, Euch das beste Essen zuzubereiten, das die Erde hervorbringen kann. Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, Euch Zunge anzubieten. Denn die Zunge ist, meiner Meinung nach, der erlesenste Teil unseres Körpers. Sie kann schöne Worte artikulieren, sie kann Wahrheiten ihre Stimme verleihen und uns helfen, im Einklang mit der Lehre des Korans zu leben. Die richtigen Worte geben den Menschen Stärke und Mut. Die Zunge kann Harmonie, Liebe und Gerechtigkeit verbreiten. Sie kann den Zusammenhalt zwischen den Völkern in Granada stärken.«
Der Sultan war beeindruckt von Nasirs Antwort. Er berauschte sich einen Augenblick am Duft der Zunge, kaute sie mit kindlicher Begeisterung, schmeckte sie ausgiebig und schluckte langsam mit einem ausgedehnten Seufzer. Die Sonne war untergegangen, die Abendkühle breitete sich aus. Vater und Sohn blieben noch lange am Tisch sitzen und unterhielten sich. Es war das erste Mal, dass sie so lange allein zusammensaßen. Gegen Mitternacht dankte der Sultan Nasir für seine Gastfreundschaft und umarmte ihn nicht ohne eine gewisse Rührung.
Am nächsten Tag wuchs mit jeder Stunde, die verging, die Neugier des Sultans auf Nasirs zweite Mahlzeit. Voller Ungeduld begab er sich am Abend zur Speisetafel und fand dort das gleiche Gericht auf dem Teller wie am Abend zuvor. Der Sultan war verwundert. Er glaubte einen Augenblick, dass es sich um einen Irrtum handelte. Nasir lächelte geheimnisvoll und lud den Vater mit einer eleganten Geste ein, Platz zu nehmen. Bevor der Sultan die Speise anrührte, bat er seinen Sohn um eine Erklärung.
»Vater, Ihr wünschtet, dass Euch das schlechteste Essen serviert würde, das mein Bruder und ich finden könnten«, entgegnete Nasir. »Ich habe mir die Freiheit genommen, heute Abend Zunge zu servieren. Meiner Meinung nach kann die Zunge als des Menschen schlimmster Feind agieren. Die Zunge kann Worte des Zorns und des Hasses hervorbringen, Worte, die Tränen auslösen und die Hoffnung der Menschen zunichtemachen. Die Zunge kann wie keine andere Waffe Zwietracht säen und den Völkern Granadas schaden.«
Nasirs Worte beeindruckten den Vater. Genau wie am Abend zuvor berauschte er sich am Duft, der vom Teller aufstieg, dann kaute er die Zunge mit kindlicher Begeisterung, schmeckte sie ausgiebig und schluckte langsam mit einem ausgedehnten Seufzer.
Die Sonne war untergegangen, die Abendkühle breitete sich aus. Vater und Sohn blieben noch lange am Tisch sitzen. Sie diskutierten über Dichtung und einige Verse aus dem Koran. Selten war der Sultan so offenherzig gewesen wie an diesem Abend. Er erzählte, dass die Welt nicht ein für alle Mal geschaffen sei und dass er im Laufe seines Lebens viele Dinge erlebt habe, von denen er sich in seiner Jugend nichts habe träumen lassen. Zahlreiche Augenblicke, die er als junger Mann für Höhepunkte des Daseins gehalten habe, seien seiner Erinnerung rasch entfallen. Dann stellte er, nicht ohne eine gewisse Wehmut, fest, dass man wenig darüber wisse, was in einem Herzen wohne. Nasir hörte dem Vater aufmerksam zu, dem es nicht entgehen konnte, dass sich hinter der natürlichen
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