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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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kurz nach der Rückkehr nach Córdoba im Kindbett. Aber Moishe konnte sie immer spüren, ihren Blick fühlen, ihre Stimme hören, ihren Duft einatmen. Sobald er die Augen schloss, war sie da – zwar nur im Geiste, aber voll sprühenden Lebens. Dann küsste und umarmte sie Moishe, überhäufte ihn mit Zuneigung und flüsterte ihm kluge Worte ins Ohr, wachte über ihm und beschützte ihn vor Gefahren.
    Als Moishe dreizehn Jahre alt geworden war und seine Bar-Mizwa hinter sich gebracht hatte, kam Rebecca in der Nacht zu ihm. Moishe spürte deutlich die Nähe der Mutter und konnte ihre Stimme hören. Sie sagte, sie müsse ihm gestehen, dass nicht sie es gewesen sei, die den neuen Sultan Muhammed III. im Schach besiegt und damit Moishes Leben gerettet habe. Ein Engel habe sich ihr offenbart und während der Partie ihre Hand geführt. Der Engel habe die Schachfiguren nach einem komplizierten System bewegt, das seinen Ursprung im Anbeginn der Zeiten habe. Es baue auf einem Zahlenverhältnis auf, das in der Schöpfung niedergelegt sei und mit den harmonischen Proportionen in den kosmischen Nebeln und Galaxien des Weltalls übereinstimme. Dieses System funktioniere wie ein Schlüssel, mit dessen Hilfe die innerste Ordnung der Welt erkannt werden könne.
    Rebecca versprach, Moishe eines Tages dieses komplizierte System offenzulegen. Danach wurde ihre Stimme schwächer und schwächer. Moishe beugte sich vor, intensiv lauschend. Aber er hörte nichts. Es war so still im Zimmer, dass der Junge das Atmen der Sterne zu vernehmen meinte.
DAS WUNDERKIND RETTET DIE JUDEN
    Folgende Geschichte über unseren entfernten Verwandten Moishe de Espinosa, den wir den Kabbalisten nannten, spielte sich während des jüdischen Osterfests im Jahr 1313 in Córdoba ab.
    Zu dieser Zeit war Moishe noch ein Junge von eben dreizehn Jahren, aber manchmal fühlte er sich, als wäre er hundert Jahre alt. Er lebte im Haus der Großeltern, eingehüllt in die Zärtlichkeiten seiner Großmutter. Sein Großvater, der Rabbiner Abraham Orabuena, war ebenso berühmt für seine Gelehrsamkeit wie für seine glühende Frömmigkeit: Er rührte nie vor dem Sonnenuntergang Essen an und betete so inbrünstig zu Gott, dass er aufgrund seines starken Schwitzens dreimal täglich das Hemd wechseln musste – im 14. Jahrhundert ein unfassbarer Luxus.
    Vom Großvater hatte Moishe Aramäisch, Arabisch, Latein, Mathematik und Arithmetik gelernt: Er hatte Bücher über Religion, Philosophie, Geographie und Geschichte gelesen. Er behielt alles und vergaß nichts. Er konnte mit verbundenen Augen den Talmud und die Thora lesen. Mit einem einzigen Blick war er imstande, den Charakter eines Menschen zu erkennen. Sobald jemand den Mund öffnete, wusste Moishe, was die Person sagen würde. Er konnte auch physische Leiden lindern, und zwar mit Hilfe der Kraft seines Gedankens, ohne den Betroffenen zu berühren oder magische Beschwörungen zu sprechen. Alle, die an Bauchschmerzen oder Rückenbeschwerden, Krampfadern, Kreislaufstörungen, Rheuma oder Blut im Stuhl litten, waren mit seiner Behandlung zufrieden.
    Fromme Juden kamen häufig, um sich bei dem Jungen geistliche Wegweisung zu holen, auch wenn er zuweilen um Nachsicht bat, weil er kein Rabbiner sei, sondern ein gewöhnlicher Dreizehnjähriger, der selbst Wegweisung benötige. Aber es half nichts. Die Leute klopften weiter an die Tür.
    Die Gerüchte um Moishe waren auch an die Ohren hoher Herren gedrungen. Manuel Manzanedos del Castillo sandte einen Spion zum Haus des Rabbiners, damit er ihm und dem Rat der Stadt Córdoba über die ungewöhnliche Begabung des Jungen Bericht erstattete. Der Spion fragte Moishe, was für sein Volk seiner Meinung nach das Wichtigste sei, er kenne ja die Mentalität und die Geschichte der Juden. Moishe hatte geantwortet, wie er es immer tat, das Gesetz sei für die Juden das Wichtigste, denn Gottes Gesetz war gerecht und galt für alle Individuen, niemand stand über dem Gesetz, weder Herr noch Diener.
    In seinem ausführlichen Bericht, in dem der Spion so detailliert und überzeugend wie möglich zu sein versuchte, verdrehte er Moishes Worte und behauptete, der Junge habe Gouverneur Manzanedos del Castillo und die Mitglieder des regierenden Rates wegen Missbrauchs des Gesetzes kritisiert. Die hohen Herren, die Córdobas vornehmsten Familien angehörten, seufzten bekümmert. Der Bericht wurde bis spät in die Nacht diskutiert. Angesichts des Einflusses, den der Junge auf seine Glaubensgenossen

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