Das Elixier der Unsterblichkeit
änderte sich nichts. Ihre Gedanken und Gefühle, all der Kummer, der wie Teer an ihr klebte, war in Worte eingekapselt, die sie nie an jemanden richtete.
Es gab Tage, an denen sie tief betrübt darüber war, dass ihr Mann so wenig Zeit zu Hause verbrachte. Aber um des lieben Friedens willen sprach sie dieses Thema nie an.
Manchmal dachte Elsa, mein Großonkel besuche andere Frauen und habe wie sein Großvater uneheliche Kinder überall in Wien. Dann bekam sie Heulanfälle und ging auf zitternden Beinen zu Aron Reinherz, denn sie hatte sonst niemanden, dem sie sich anvertrauen konnte.
Eigentlich ging sie nicht gern zu dem alten Juden, denn bei ihm herrschte eine ungesunde Atmosphäre: Die Wohnung war ungeputzt und ungelüftet, warm und stickig, überall auf dem Fußboden lagen dicke Staubflusen, in jeder Ecke gab es Spinnennetze, sein Bett war ungemacht und die Laken zeigten Spuren von Wanzenbefall. Mehrmals hatte Elsa sich schon bei dem absurden Gedanken ertappt, den Nachbarn zu fragen, ob sie für ihn saubermachen solle. Sie klopfte an die Tür, kam aber selten dazu, den Mund aufzumachen und zu erzählen, was ihr Kummer bereitete. Ein einziger Blick, und Aron Reinherz wusste alles.
Er sagte mit milder Stimme: »Denk daran, wer zu viel denkt, kann den Verstand verlieren.« Dann erklärte er, es gebe keinen Mann, der treuer sei als der ihre, und er riet Elsa, in die Synagoge zu gehen, statt sich von schlimmen Gedanken quälen und deprimieren zu lassen, und darum zu beten, schwanger zu werden.
»Ich bin kein Prophet«, sagte Aron Reinherz, »aber ich bin sicher, dass eine Prophetie, die die Vorsehung mir ins Ohr geflüstert hat, sich bewahrheiten wird. Es wird nicht mehr lange dauern, bis du schwanger wirst. Und du wirst sogar zwei Kinder bekommen. Und wenn Kinder im Haus sind, wird dein Mann bei dir sein.«
Schon bald fühlte Elsa sich ruhiger und begann, von allerlei alltäglichen Dingen zu reden. »Dies hier muss unter uns bleiben«, sagte sie schließlich. »Kein Wort davon zu irgendjemandem. Mein Mann würde das Ganze nur missverstehen und glauben, es sei eine Infragestellung seiner Person.«
Nach dem Besuch beim Nachbarn trat sie auf die Straße, sog frische Luft in ihre Lungen und nahm die Trambahn zur Mariahilfer Kirche. Sie setzte sich in die leere Kirche, versank in Gedanken und erinnerte sich an den guten Rat ihrer Mutter: Eine Frau muss die Lust ihres Mannes am Leben erhalten, um ihn an sich zu binden und ihren Willen durchzusetzen.
Die Umarmung war also ein Mittel zur Macht über den Mann. Aber wenn man nichts spürte außer einem leichten Unbehagen? War eine Frau verloren, wenn ihr die Sinnlichkeit fehlte? Es schauderte Elsa, als sie an ihren Mann dachte, der allem Anschein nach liebeskrank war, ein Herrscher, dem sie zu Willen sein musste. Aber die Triebe eines Mannes, sagte sie sich, waren ein notwendiges Übel, mit dem eine Frau sich gemäß den Gesetzen, die in dieser Welt herrschen, abfinden musste. Also zündete sie eine Kerze an und betete zur Jungfrau Maria, sie fruchtbar zu machen.
Spät am Abend, als mein Großonkel zurückkehrte in die unbeleuchtete Wohnung, knöpfte Elsa ihm die Hose auf und zog ihn ins Bett, spreizte ergeben die Beine und ließ ihn in sich kommen. Seine Ejakulation erfolgte fast auf der Stelle. Danach ließ eine in seinem Körper angestaute Spannung nach. Aber im Grunde war er enttäuscht. Er sehnte sich nach etwas anderem als frostigen Fingern und einem kalten Schoß.
Einige Wochen später erkannte Elsa, dass sie schwanger war. Die Schwangerschaft endete jedoch, wie drei andere Schwangerschaften in den folgenden Jahren, mit einer Fehlgeburt im dritten Monat.
In der ersten Zeit erzählte mein Großonkel Elsa unzählige Geschichten aus dem Zirkus. Aber als er merkte, dass sie nicht interessiert war, schwieg er bei Tisch. Obwohl sie kaum miteinander sprachen, tat er sein Bestes, um die häusliche Stimmung aufzuhellen, auch wenn er oft verzweifelt war über die triste Ehe, in die er sich so unbedacht gestürzt hatte. Mit jedem Tag, der verging, fühlte er sich hilfloser. Schließlich war Elsa ihm völlig gleichgültig und es schmerzte ihn nicht mehr, wenn er dachte, dass er sich mit der falschen Frau verheiratet hatte, einer Frau, die ungebildet und langweilig war und deren magerer und kränklicher Körper zu nichts anderem taugte als zu einem gelegentlichen hastigen Beischlaf im Dunkeln.
BIERSTUBE WALDVOGEL
Mein Großonkel machte sich selten die Mühe, nach der
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