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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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Hauswolff.
    »Ungefähr fünfhundert Schilling.«
    »Schämen Sie sich nicht? Von meinen Patienten bekomme ich für einen halbstündigen Besuch das Dreifache. Ihr Juden seid wirklich geizig. Wissen Sie, junger Mann, dass Ihre jüdische Geldgier infantil ist? Sie geht auf das Spielen des Kleinkinds mit dem eigenen Kot zurück. Die Lust, mit Scheiße zu hantieren.« Er betonte das Wort »Scheiße«.
    Hauswolff zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und stand auf. Er stellte sich mit dem Rücken zu seinem Besucher und schaute durchs offene Fenster in den sommerlichen Himmel. Erst jetzt bemerkte mein Großonkel, wie klein der berühmte Psychoanalytiker war. Klein, mit einem Kugelbauch, gut gekleidet, mit einer schwarzen Fliege um den Hals, ungefähr vierzig Jahre alt, hyperenergisch.
    »Aber intelligent seid ihr«, konstatierte Hauswolff. »Erfindungsreich. Außerdem seid ihr Juden glänzende Lehrer. Ich habe einige Zeit bei Privatdozent Freud studiert. Sagt Ihnen der Name etwas? Ich bewunderte seine Intelligenz. Aber bei ihm geht alles aufs Sexuelle zurück, sexuelle Schuldgefühle in der einen oder anderen Form. Das ist pervers. Als ob die rätselhaften Kräfte des Unbewussten ausschließlich aus sexuellen Neurosen beständen. Für ein arisches Bewusstsein ist ein solcher jüdischer Schmutz widerwärtig. Diese jüdische Schule in der Psychoanalyse muss verschwinden. Die Psychoanalyse sollte eine arische Wissenschaft sein. Wir Wissenschaftler haben eine Verantwortung. Deshalb kann ich nicht jeden als Schüler annehmen. Ich brauche drei Tage Bedenkzeit.«
    Dann begann Hauswolff, immer noch am Fenster stehend, einen langen und verwickelten Vortrag über die Psyche, in einem Jargon, von dem mein Großonkel nicht viele Worte verstand, und über die Wülste des Schädels als Indikatoren für das menschliche Verhalten. Er sprach mit unerhörter Beredsamkeit und innerer Glut.
    Als mein Großonkel zu Hauswolff zurückkam, um zu hören, ob er als Schüler angenommen würde, stand eine kleine Schar von Menschen vor dem Haus. Eine fette Nachbarin erklärte den Neugierigen in feierlichem Ton, die Polizei sei da gewesen, um den bekannten Psychoanalytiker abzuholen, dem es schwergefallen sei, seinen starken Geschlechtstrieb zu zügeln, und dessen Hand öfter über den Busen seiner Patientinnen geglitten sei als über ihr Kranium.
    Aber jetzt war er ertappt worden, buchstäblich mit den Händen in der Unterwäsche einer Patientin. Die Tochter des vermögenden jüdischen Pelzhändlers Abrahamowicz, Rachel, eine üppige Schönheit von zwanzig Jahren, die an Hysterie litt und Selbstmordgedanken hegte, war kein ideales Hypnoseobjekt. Sie lag völlig entspannt auf der Couch des Doktors, aber sie wollte sich nicht fallen lassen. Hauswolff glaubte, die junge Frau sei in Tiefschlaf gefallen, also fuhr er mit der Hand unter ihren Rock und begann, sie zwischen den Beinen zu streicheln. Rachel versetzte ihm eine schallende Ohrfeige auf die linke Backe. Dann bekam sie einen hysterischen Anfall und lief weinend nach Hause zu ihrem Vater, einem guten Freund des Polizeipräsidenten.
    Der Skandal erschütterte die Wiener Gesellschaft. Mehrere Tage suhlten sich die Journalisten in dem Fall. Die Artikel waren voller Unterstellungen und unbewiesener Behauptungen. Die sensationslüsternen Redakteure ließen es sich nicht nehmen, jedes kleinste Detail in Hauswolffs Leben und Charakter aufzugreifen. Er wurde beschuldigt, mehrere Frauen vergewaltigt zu haben, nachdem er sie hypnotisiert hatte. Es hieß, er habe eine reiche Prinzessin dazu gebracht, ihm ihre Diamanten zur Aufbewahrung zu überlassen; anschließend habe er diese an einen Juwelier am Kohlmarkt verkauft. Außerdem wurde enthüllt, dass er sein Studium nie zu Ende gebracht und kein Examen abgelegt hatte. Seine Zeugnisse und Diplome waren schlechte Falsifikate. Bis dahin respektvolle Kollegen wuschen ihre Hände in Unschuld, und Freud erklärte, er habe schon immer gewusst, dass Hauswolff ein geldhungriger Scharlatan sei, nur darauf aus, Frauen aus der Oberklasse zu verführen. Die Phrenologie sei nichts anderes als des Kaisers neue Kleider.
    An dem Morgen, als das polizeiliche Verhör beginnen sollte, fand man Hauswolff tot in der Untersuchungszelle. Er hatte eine Ampulle mit Zyankali geleert, die in seinem Brillenfutteral versteckt gewesen war.
EINE NEUE ZUKUNFT
    Als Arbeitsuchender war mein Großonkel wenig erfolgreich, denn er hatte keinerlei Ausbildung vorzuweisen und auch

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