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Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
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an seinem Brustkorb, wenn sie sich in der Küche seines Elternhauses umarmt hatten. Er erinnerte sich an die wonnevollen Hoffnungen, die die Liebe zu ihr ihm geschenkt hatte.
BLUMENDUFT UND FAMILIENGLÜCK
    Nach der vierten Fehlgeburt lag Elsa mehrere Wochen apathisch und traurig im Bett. Eines Nachmittags hörte sie ein schwaches Klopfen an der Tür. Sie stand auf und ging auf unsicheren Beinen zur Tür, um zu öffnen. Es war der Nachbar Aron Reinherz. Er sah sogleich, dass es ihr nicht gutging, und fragte, wie es um sie bestellt sei. Elsa machte eine abwehrende Handbewegung, aber der alte Jude verstand. Er tröstete sie mit einigen lustigen Anekdoten und erbot sich, sie zu einer tatarischen Prinzessin aus Baku zu bringen, die nach der Revolution 1917 Russland hatte verlassen müssen und im Vorort Simmering eine Praxis betrieb. Sie heile fast alle Leiden mit Hilfe von Blumen- und Pflanzenduft.
    Die Leute kamen von weit her zu Olga Bashkir, die nicht nur Blumen und Pflanzen verordnete, sondern auch vorschrieb, wie lange man an ihnen riechen sollte, immer im Sitzen und nicht länger als zehn Minuten täglich. Gegen hohen Blutdruck empfahl sie dem Betroffenen das Einatmen von Waldstorchschnabel, gegen Asthma half Rosmarin, Rückenbeschwerden heilte sie mit Lorbeerblättern. Die Blumen und Pflanzen pflückte sie in ihrem Garten.
    Elsa verschrieb sie Mongolische Lilie (
lilium pensylvanicum
). Sie sollte drei Wochen lang jeden Tag acht Minuten an der Blume riechen.
    »Ich merke nichts. Diese Blume duftet nicht«, sagte Elsa skeptisch.
    »Keine Blume duftet um ihrer selbst willen, sondern immer für ein anderes Wesen«, erklärte Olga Bashkir geduldig. »Man muss den Stengel anfassen, dann fühlt die Blume, dass man sich für sie interessiert, und beginnt, ihren Duft freizusetzen. Sie will allen gefallen, und auf jede Berührung reagiert sie mit ihrem Duft. Die Mongolische Lilie wird Sie heilen, meine Teure, sie wird das Blut in Ihrer Gebärmutter zum Sieden bringen, und mit ein wenig Hilfe von der Glut Ihres Mannes werden Sie ihm so viele Erben schenken, wie er sich nur wünscht. Aber ich muss Sie warnen. Wenn man zu lange an der Mongolischen Lilie riecht, werden es nur Töchter.«
    Elsa bat Aron Reinherz, ihrem Mann nichts vom Besuch bei der tatarischen Prinzessin zu erzählen. Er nickte verständnisvoll.
    An einem kühlen Oktobertag des Jahres 1929, der aufgrund des Börsencrashs an der Wall Street als Schwarzer Freitag in die Geschichte eingegangen ist, gebar Elsa Zwillinge. Zwei strahlend schöne, gesunde Mädchen.
    Als mein Großonkel die Mädchen betrachtete, sah er deutlich, dass das eine seiner Großmutter ähnlich war, während das andere eine Kopie seiner Mutter war. Er war unsäglich glücklich.
    »Ich möchte«, sagte er demütig, »dass die Mädchen die Namen meiner seligen Mutter und meiner seligen Großmutter tragen: Annusjka und Margit.«
    Zu dieser Zeit nannten alle meinen Großonkel Fernando. Nur seine Ehefrau nicht, die ihn immer noch mit dem Kosenamen seiner Kindheit ansprach. »Franci«, sagte Elsa. »Es sind schöne Namen. Meinetwegen sollen sie so heißen. Aber vor allem möchte ich dich ehren. Deshalb sollten wir die Mädchen im Alltag Anci und Manci nennen.«
    Seit dem Tag, an dem Elsa zum ersten Mal ihren Fuß auf Wiener Boden gesetzt hatte, sehnte sie sich zurück nach Budapest. Es war eine Sehnsucht, die sie all die Jahre in sich trug, unvermindert stark, ein Geheimnis, eine Vision, über die sie nie sprach. Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, meinen Großonkel zu fragen, ob es nicht schön wäre, nach Hause zu fahren und der Familie die Zwillinge zu zeigen.
    Aber auf dem Ohr stellte er sich taub.
    Seine Einwände waren wenig überzeugend: Er habe nicht genug Geld, er ertrage seine Schwiegermutter nicht, es gehe ihm in Wien ausgezeichnet, er könne im Zirkus nicht freibekommen.
    Der wirkliche Grund, warum er seine Geburtsstadt nie besuchen wollte, war natürlich ein anderer: Sara. In seinem Widerstand verbarg sich eine sonderbare Angst, als fürchtete er, enttäuscht zu werden, als könnte eine Begegnung mit Sara die Vision von Liebe zerstören, die ihn an jenem Februarnachmittag geblendet hatte, als er fünfzehn Jahre alt war und seine Finger den ihren in jenem uralten Spiel des Streichelns und Liebkosens begegnet waren.
HERMANN JACK UND ADMIRAL HORTHY
    Der Zug setzte sich in Bewegung und rollte in Richtung Wien. Hermann Jack saß auf einem

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