Das Ende Der Ausreden
nicht. Wir nehmen uns die Freiheit, uns dem Beleidigtsein, der Kränkung oder dem alten Ärger so richtig hinzugeben. Wir könnten auch anders. Wenn wir wirklich wollen, können wir aus der Opferecke herauskommen. Aber wir ziehen es oft vor, dort zu bleiben, und schieben die notwendige Aktivität den anderen zu.
Wann immer wir uns den gelernten Gefühlen überlassen, wird es kompliziert: in Partnerschaften, beim Treffen von wichtigen Lebensentscheidungen, in Konflikten. Statt unsere Probleme zu lösen, fangen wir an, über sie zu reden. Auf die ermüdend gleiche Weise, die unsere Passivität legitimiert.
Phase 6: Das Drama der Erwartungen beginnt
Die gelernten Gefühle münden in einer Erwartungshaltung anderen gegenüber. In vielen Problemsituationen verharren wir wie angewurzelt, in Erwartung erstarrt. Natürlich könnten wir selbst handeln, wir sind ja nicht hypnotisiert oder gelähmt. Aber wir tun es nicht. Wir ziehen es vor, darauf zu warten, dass der andere handelt. Denn der müsste das aus unserer Sicht tun, weil er nämlich zuständig, schuld, an der Reihe ist. Achten Sie einmal auf den Klang der Empörung, wenn Sie das nächste Mal eine Schilderung darüber hören, wie ein Partner sich mal wieder geweigert hat, einer Erwartung zu entsprechen. »Das ist doch unmöglich!«, »Das wäre ja das Mindeste!«, »Das kann man doch wohl erwarten!«.
Empört wartend sitzen wir untätig fest im Knäuel des Problems. Die Frage nach unseren Wünschen und Ideen würde uns heraushelfen, und trotzdem (oder genau deswegen) hören wir sie nicht gerne, solange wir noch eine tragende Rolle in einer Problem-Story spielen. Solange wir uns dieser Frage nicht stellen – haben wir uns vorderhand für das Problem entschieden.
5 Wir halten am Problem fest, weil wir uns noch nicht trauen, es loszulassen
Die Art, wie wir unsere Probleme schildern, ist ein wichtiger Baustein der Mauer, hinter der wir uns in der Passivität verschanzen. Es ist sicher nicht tragisch, wenn wir Vorsätze fassen und fallen lassen, uns gegenseitig langweilen oder über unsere Priorisierungen anflunkern. Aber es gibt andere Probleme, die wir wirklich lösen sollten. Wenn wir an diesen festhalten, können sie zu oft unnötigen Verhärtungen, Eskalationen und Trennungen führen, sich zu Lebenslügen auswachsen oder in Lebenskrisen münden.
Wir meinen, uns verteidigen zu müssen
Uns selbst als Opfer zu sehen und in der Problemgeschichte darzustellen, hat einen zentralen Sinn: Es dokumentiert unsere Schuldlosigkeit. Und das ist uns sehr wichtig.
Es scheint, als ob wir fürchten, diese Unschuld in Gefahr bringen, wenn wir uns von der Untätigkeit lösen. Als ob die Passivität uns schützt und Aktivität uns gefährdet, weil sie als Schuldeingeständnis missverstanden werden könnte.
Vor wem meinen wir uns verteidigen zu müssen? Das sind natürlich in erster Linie unsere Partner im Konflikt, diejenigen, denen wir die Schuld geben und von denen wir das Handeln erwarten. Das ist Teil des Spiels – wir glauben, nicht nachgeben und dem anderen entgegenkommen zu dürfen, weil wir dann verloren hätten.
Die unglaubliche Vehemenz, mit der Menschen an ihrer Opferversion festhalten, legt aber nahe, dass das noch nicht alles ist. Es geht nicht nur um die anderen. Es geht hier um etwas sehr Elementares. Und das findet tief in unserem Inneren statt. Irgendwo in uns ist ein mächtiger Ankläger, vor dem wir uns rechtfertigen. Solange wir uns an ihm ausrichten, werden wir nicht aufhören, Ausreden zu erfinden und Problemsituationen bis ins tatsächlich Ausweglose hinein zu zementieren. Wenn wir uns weigern, Verantwortung für ein Problem zu übernehmen, dann wohl, weil wir fürchten, beschuldigt und verurteilt zu werden. Wir verwechseln Verantwortung mit dem Anerkennen von Schuld. Der Beweis unserer Unschuld geht vor, er ist uns offenbar mehr wert als mögliche Vorteile einer veränderten Situation. Oder mehr als die Würde und der Mut, zu unserem Anteil an der Geschichte zu stehen.
Ich kann es erst lassen, mich als Opfer darzustellen, wenn ich es mir selbst erlaube. Das gelingt mir, wenn ich verstanden habe, dass ich mich vor niemandem rechtfertigen muss. Vor niemandem. Nicht vor einem aktuellen Gegenüber und auch nicht vor einem Echo der Vergangenheit. Ich muss nicht mehr von mir ablenken und die anderen beschuldigen, wenn ich aufhöre, mich vor der verurteilenden Instanz in mir zu fürchten. Das wird möglich, wenn ich – dazu kommen wir später –
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