Das Ende Der Ausreden
ich etwas tue – der ganze Katalog der Begründungen wird bei Bedarf rauschend aufgeblättert.
Dabei müssten wir das nicht tun. Wir müssen uns vor niemandem verteidigen oder rechtfertigen – wenn wir zu unseren Entscheidungen stehen. Mögen sie – für wen auch immer – nicht die richtigen sein – es sind unsere. Für unser Leben, so wie es ist (samt nervigem Vorgesetzten), haben wir uns aus guten Gründen entschieden. Dafür braucht es keine Entschuldigung, keine Erklärung.
Der mentalen und dann handelnden Leistung, Verantwortung zu übernehmen, geht offenbar eine psychologische Bedingung voraus. Bewusstes Wählen ist kein reines Ausrechnen der Vor- und Nachteile meiner Optionen. Bewusstes Wählen setzt eine innere Freiheit, die Erlaubnis voraus, ins Risiko zu gehen. Zu handeln, ohne dass ich sicher sein kann, dass es »richtig« ist, etwas zu probieren, ohne dass ich perfekt bin, etwas zu wagen, ohne eine Erfolgsgarantie zu haben. Zu einer Entscheidung zu stehen, auch wenn ich weiß, dass sie nicht populär ist. Das alles kann ich nur auf der Basis stabilen Selbstvertrauens und einer erwachsenen emanzipierten Haltung gegenüber meinen Opfergefühlen, die mich zum Nichthandeln verführen wollen. Und sonst nicht.
Die Aussage »Ich muss ja so, ich kann nicht anders!«, die sollten wir ersatzlos streichen. Diese Krankschreibung, die wir uns selbst ausstellen und die behauptet, wir hätten keine Wahl, ist eine der stärksten Ausreden, mit denen wir uns weigern, Verantwortung zu übernehmen. Das gilt für unzählige Mikrosituationen des Paar- und Familienlebens, und es gilt, wenn wir nicht aufpassen, am Ende für das Resümee unseres Lebens.
Wir reden uns pessimistisch heraus: »Das hat doch keinen Sinn! Das schaffe ich sowieso nicht!«
Wenn man vorher wüsste, dass etwas, das man sich vorgenommen hat, funktioniert, gut geht und ein Erfolg wird – dann gäbe es nichts zu fürchten und nichts zu entscheiden. Dann würde man es einfach tun. »Zwischen Ufer und Ufer ist nur das Wagnis« heißt es aber, und noch nie hat Pessimismus hinübergeführt. Ehe wir es nicht versucht haben, wissen wir nicht, was klappt, scheitert oder sich bewährt. Mit dem »Es hat doch keinen Sinn!« ersparen wir uns den Versuch und reden ihn vorab in den Misserfolg. Damit erklären wir das Risiko für unnötig und unser Nichthandeln für Vernunft.
Die Angst vor dem Scheitern wiegt bei vielen Menschen schwerer als die Hoffnung auf einen möglichen Erfolg. Die Angst vor dem Nein hindert uns, eine Bitte zu äußern, und die Furcht vor dem Misserfolg, etwas zu wagen. Sich nicht blamieren wollen, nicht blöd dastehen, sich nicht schämen wollen: Wir reden uns ein, dass nur das brillante, einwandfreie Ergebnis zählt. Das ist in vielen Situationen und Projekten, in denen ich nicht allein und damit nur begrenzt Einfluss auf meinen Erfolg habe, eine ziemlich unpraktische Einstellung. Ein anderes Verständnis von Erfolg wäre, »Ich traue mich!«, »Ich strenge mich an!«, »Ich mache es jetzt einfach!« bereits als Gewinn zu betrachten. Das kann ich, wenn ich ein »Nein!« nicht als vernichtend, ein gescheitertes Projekt nicht als Katastrophe betrachte. Das kraftlose, pessimistische und resigniert vertrocknete »Das schaffe ich sowieso nicht!« hat sich für die Risikolosigkeit und damit gegen das Leben entschieden.
Wir belassen unser Leben im Konjunktiv
»Wollt’ ich, hätt’ ich, wär’ ich!«, pflegte meine Großmutter zu sagen, »das waren drei arme Leut’.« Sie deutete damit auf das Ergebnis, das viele ereilt, die ihr Leben dem Konjunktiv anvertrauen.
Meistens tun wir es in die Zukunft gerichtet und reden davon, was alles Tolles in unserem Leben passieren könnte, wenn … Ich würde eine großartige Mutter sein, wenn ich den richtigen Mann treffe, ich könnte eine herausragende Fotografin abgeben, wenn ich mir endlich eine Profikamera leiste. Würde ich mir ein Sabbatical gönnen, könnte ich so ultimativ entspannt sein. Ich könnte meinem Sohn besser gerecht werden, wenn ich nur noch vier statt fünf Tage arbeiten würde. Und und und.
Oder die rückwärtige Perspektive: Wenn ich mich angestrengt hätte, wäre mein Abschluss besser gewesen. Wenn ich mich getraut hätte, dann hätte ich … Wenn, wenn, wenn.
Das Leben findet aber im Indikativ statt. Wir haben Kinder oder nicht. Wir machen Abitur oder einen Bootsführerschein oder wir lassen es bleiben. Wir überwinden den Selbstzweifel oder wir pflegen ihn.
Viele Menschen
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